Demis Volpi präsentiert sich in Düsseldorf
Unter der Leitung des nach Wien verzogenen Direktors Martin Schläpfer hatten die Aufführungen des Balletts der Deutschen Oper am Rhein auch international an Strahlkraft entwickelt. Er hatte aus einer Vielzahl von eigenwilligen Startänzern eine Compagnie geformt und mit ihnen mit der Mischung aus klassischem und modernem Ballett einen unverwechselbaren Figurenstil kreiert. Hinzu kam sein kenntnisreiches Interesse für zeitgenössische Musik, die er in seine Bewegungsmuster integrierte oder widerständig interpretierte. Mit dem Engagement des neuen Ballettdirektors Demis Volpi schien eine Zeitenwende mit der Rückkehr zu klassischen Ballettstücken vollzogen zu sein.
Nach den ersten Eindrücken des Rezensenten, die auf zwei Nach-Corona-Aufführungen basieren, ist dies nicht ganz so. Jedenfalls vermitteln die bisher besuchten Stücke das Bemühen um eine Mischung von zeitgenössischen Arbeiten mit bekannten klassischen Stücken, also eine klare „Sowohl als Auch“- Position. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist der Doppelabend, der unter dem Titel I am a Problem zwei sehr unterschiedliche Stücke präsentiert: Carmen, die Adaption der Oper von Bizet für das Ballett in der Choreographie von Roland Petit, und Baal eine Ballettfassung des Theaterstücks von Bertolt Brecht. Baal präsentiert das Ballett am Rhein als Uraufführung in der Choreographie der Kanadierin Aszure Barton, eindrucksvoll begleitet von der eigens für das Stück komponierten Musik von Nastasia Khrustcheva. Das von Volpi zusammengestellte Ensemble tanzt souverän und leidenschaftlich. Besonders bemerkenswert erscheint die mit großer Ausdauer gepaarte Wandlungsfähigkeit des jungen Miquel Martinez Pedro, der eine kongeniale Figur des Baal ertanzt. Nachhaltig beeindruckt auch die Musik, die mit ihrem wilden, an barocke Tänze erinnernden Rhythmen, freien Klängen und eindrücklichen Klaviersoli raumgreifend ist. Kurzum: eine Darbietung, die unter die Haut geht.
Anders dagegen die eher süffisante Darbietung von Carmen, die weder optisch noch akustisch verbergen kann und will, dass sie dem Alter der jungen, verführerischen Carmen längst entwachsen ist. Frivolisierter Spitzentanz, die üblichen Pas de deux sowie das dynamische Gegenüber von Einzelpaaren und Gruppentänzen, kurzum die neoklassische Formensprache wird, kombiniert mit ein wenig Hüftgewackel, routiniert dargeboten, reißt aber auch ein angejahrtes Publikum bei weitem nicht von den durchgesessenen Sesseln der Düsseldorfer Oper.
Während man bei Schläpfer bis zum Ende seiner Intendanz warten musste, um mit Schwanensee einen von ihm inszenierten Klassiker geboten zu bekommen, geht Volpi von Anfang an mit der Aufführung seiner Inszenierung des Nussknackers, die er aus Antwerpen mitgebracht hat, in die Vollen. In die alten wie junggebliebenen, erst recht aber auch die tatsächlich jungen Herzen hat sich die Aufführung des Nussknacker-Balletts eingetanzt - und das nicht nur, weil infolge des Corona-Viren-Befalls der Tänzer viele wochenlang erwartungsvoll diesem Klassiker des Balletts entgegenfieberten. Solo-Tänzerinnen und -Tänzer, die Compagnie als Ganze, Kostüme und Bühnenbild gehen in der Aufführung eine erfrischende Harmonie ein. Zuschauerinnen und Zuschauer bekommen zu sehen und wie immer präzise von den Düsseldorfer Symphonikern zu Gehör gebracht, was sie erwarten: ein märchenhaftes kleines Drama um das Erwachsenwerden und die wundersame Geschichte, wie ein Holzklotz gelenkig wird. Da wird gewirbelt und schön bunt gekleckst; die Bühnenmechanik und die Schieber schaffen die Kulissen hin und her, und alles ist so, wie man es kennt. Schön ist auch die Idee von Volpi, die Unterchoreographie der Szenen jungen Kolleginnen und Kollegen zu übertragen, die als Team damit die Gelegenheit erhalten, ihre eigenen Bilderwelten mitzugestalten. Der Saal ist rappelvoll, der Applaus begeistert - und mit einem Lächeln geht man nach Haus.