Übrigens …

Susanna im Bade im Wallraf-Richartz-Museum Köln

Sex, Crime und Machtmissbrauch

Fast glaubt man, ihn höhnisch lachen zu hören: „Mädel, das Gartentor ist fest verschlossen“, scheint einer der beiden Alten in Sebastiano Riccis Gemälde Susanna und die Alten schadenfroh zu rufen, deutet er doch unmissverständlich auf die hermetisch verschlossene Holztür in der Mauer des hochherrschaftlichen Parks. Susanna aber, splitternackt bis auf ein notdürftig ihren Schoß bedeckendes rotes Tuch, zeigt den lüsternen Alten den Stinkefinger. Das Gemälde stammt aus dem Jahre 1713. Stefan Effenberg war da noch nicht erfunden.

Tugend-Porno: Susanna-Bilder im Laufe der Jahrhunderte

In einer didaktisch hervorragend aufgebauten Ausstellung gehen Roland Krischel und Anja K. Sevcik im Wallraf-Richartz-Museum Köln der biblischen Geschichte der Susanna und ihrer Darstellung in der Kunst nach. Die verloren gegangene Urfassung der Geschichte war in aramäischer oder hebräischer Sprache abgefasst; Fragmente der älteren von zwei überlieferten griechischen Versionen werden in der Ausstellung gezeigt. Die Bibel greift auf die jüngere, erotischere Fassung zurück – für diejenigen, die sich nicht so genau erinnern, hier eine (stark verkürzte) Zusammenfassung der Geschichte, so wie sie in der Luther-Bibel dargestellt ist:

Susanna, schöne und züchtige Ehefrau des reichen Jojakim aus Babylon, erregt nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die sexuelle Gier zweier „Ältester“, die in der Stadt zu Richtern bestellt sind. Die gehören zu „solche(n) Leute(n), von denen der Herr gesagt hatte: Unrecht ging aus von Babylon von den Ältesten und Richtern, die das Volk zu leiten schienen.“ Die beiden Alten verstecken sich im Park von Jojakims Anwesen. Als Susanna, die sich allein glaubt, dort ein Bad nehmen will, wird sie von den beiden alten Männern bedrängt und erpresst: Wenn sie nicht bereit sei, ihnen sexuell zu Diensten zu sein, werde man sie vor Gericht stellen und des Ehebruchs mit einem jungen Mann beschuldigen. Susanna weiß: Sie ist des Todes. Aber sie bleibt standhaft, lehnt sich auf – und wird angeklagt. Die meisten Bewohner der Stadt wenden sich angesichts der Zeugenaussagen der honorigen Richter von ihr ab, aber ein junger Mann namens Daniel zweifelt die halbseidene Story an und nimmt die beiden Richter unabhängig voneinander ins Verhör. Die zwei verwickeln sich in Widersprüche; Susannas Unschuld ist bewiesen. „Der Engel Gottes wartet schon mit seinem Schwert“, um die beiden Richter unter Verlust ihrer Ehre ins Jenseits zu befördern.

Eine höchst erbauliche Geschichte ist das, oder? Sie ist voller Sex and Crime, sie erzählt von Machtmissbrauch, von einem frühen MeToo-Fall. Sie ist ein Loblied der Tugend und gleichzeitig ein hübsches Stück erotischer Unterhaltung, vielleicht gar ein hinter tugendhaften Worten verborgener Porno. Und so regte sie stets die Phantasie der Leute an. Künstler malten, was die Geschichte hergab – siehe oben: Sie sangen mit ihren Pinseln ein Loblied der Tugend, erzählten von Machtmissbrauch, schufen erotische Unterhaltung, malten Softpornos unter dem Vorwand der Gottesfürchtigkeit. Bei ihren Auftraggebern (und Auftraggeberinnen, nicht zu vergessen!) fanden die Bilder angesichts von viel nackter Haut reißenden Absatz.

Kein Zweifel: Sex sells, aber es wäre sicher nicht fair, allen diesen Künstlern nur monetäre oder voyeuristische Beweggründe für ihre Werke zu unterstellen. Die Bilder von Jacques Réattu und Jean-Charles Tardieu, beide eingereicht zu einem Wettbewerb im Jahre 1790 und veröffentlicht unter dem sperrigen Titel Daniel lässt die Alten, Ankläger der keuschen Susanna, festnehmen, widerlegen solche Absichten überzeugend; Tardieu stellt die Dame im hochgeschlossenen, bis an die Füße reichenden Kleid dar. Sie ist hübsch, hebt a bisserl dramatisch die Augen gen Himmel, sinkt aber ansonsten mit weichen Knien zu Boden. Als erotische Versuchung scheint sie eher ungeeignet, sieht man einmal von den Beschützer-Instinkten ab, die solche Frauen im Manne wecken.

Die Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum findet Beispiele für die verschiedensten Lesarten der Geschichte: Sie sortiert die Bilder in kriminalistische und artistische Werke; sie zeigt Gemälde, in denen Aussagen zu sexualisierter Gewalt oder zu Voyeurismus im Vordergrund stehen, und Bilder, die direkt das Publikum adressieren und es wahlweise zu Hilfe rufen oder dessen Lüsternheit kritisieren. Sie zeigt Susanna als Opfer, als scheu ihre Blöße zu verbergen Suchende, als selbstbewusst Kämpfende, als kokett Lächelnde, als eine mit zwei antisemitisch gezeichneten Alten ihre Scherze Treibende, als Karikatur. Eine feministisch geprägte Tradition der Darstellung des Susanna-Mythos beginnt bereits im Jahre 1622 mit den Susannen der italienischen Barockmalerin Artemisia Gentileschi, deren Interesse an dem Sujet wohl in eigenen biografischen Erfahrungen begründet liegt: Gentileschi wurde in ihrer Jugend durch einen Freund ihres Vaters (und eigenen Lehrer) vergewaltigt. Das war ein klassischer MeToo-Fall wie wohl auch der der antiken Susanna, und so reichen die in der Ausstellung zu sehenden feministisch motivierten Kunstwerke bis ins späte 20. und frühe 21. Jahrhundert. Selbst Alfred Hitchcocks Psycho ist ein eigener Raum gewidmet. Hätten Sie’s gewusst: Norman Bates, der die später von ihm ermordete Marion Crane in klassisch voyeuristischer Manier durch ein Loch in der Wand unter der Dusche beobachtet, hat lauter Bilder von Susanna im Bade in seinem Motel hängen…

Goethes Hymne für MeToo-Täter: Bibiana Liménez‘ Tanzperformance Susanna

Aus Anlass der Ausstellung hat die seit langen Jahren in Köln arbeitende kolumbianische Choreographin Bibiana Jiménez mit ihrem XXTanztheater eine „kriminalistische Tanzperformance“ erarbeitet, die auf Motive der Bilder zurückgreift und sowohl im Stiftersaal des Museums als auch im Theater der Keller gezeigt wird. Drei auf unterschiedliche Weise durchsichtige Kuben, in denen sich zu Beginn jeweils eine Performerin verbirgt, stehen im Raum; an der Seite gegenüber dem Eingang befindet sich eine kleine Spiegelwand. Alle Voraussetzungen für ein ordentliches Spanner-Erlebnis sind also gegeben. Die Profi-Voyeure sitzen allerdings erstmal auf einer kleinen Empore – ein „Alter“ (der Musiker Klaus Mages) und ein Jüngerer (der Tänzer Jacob Gómez Ruiz). Das Alter der Männer weckt Erinnerungen an die circa 1589 entstandene „Susanna im Bade“ von Cornelis Cornelisz gen. Cornelis van Haarlem aus der Museums-Ausstellung. Sie hatte sich durch die Darstellung von drei Menschen dreier verschiedener Generationen von den übrigen Gemälden unterschieden: Die blutjunge Susanna sah sich den Attacken eines sehr alten und eines im „besten Mannesalter“ befindlichen Lustmolchs ausgesetzt.

Im Stiftersaal erklingt erst einmal glockenhell ein harmloses Liedchen. „Sah ein Knab’ ein Röslein stehn“, singt es allerliebst, und schlagartig fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Goethes „Heideröslein“ könnte geradezu die triumphale oder auch empörend lakonische Hymne der zynischen MeToo-Täter sein: „Und der wilde Knabe brach / ’s Röslein auf der Heiden; / Röslein wehrte sich und stach, / Half ihm doch kein Weh und Ach, / Mußt’ es eben leiden.“ Musst‘ es? Tja, Pech gehabt.

Aber wir wissen: Susanna litt, ließ sich aber nicht brechen. Jacob Gomez Ruiz spinxt neugierig durch den Vorhang, fasst sich ans Geschlecht. Die Susannen, die mittlerweile tanzen, werden bedrängt – in den Bildern der Ausstellung grapschte ihnen ständig einer an den Busen, in der Aufführung geschieht die Belästigung auch verbal: Beim Kartenspiel hat Klaus Mages eine Sammlung an widerlich sexistischen, frauenfeindlichen und obszönen Sprüchen auf Lager, über die heute selbst die meisten Machos kaum noch lachen können. Nahtlos schließt er dabei übrigens an Goethe an: „Kleines, feines Röschen, gib mir mal ein Stößchen…“. Doch siehe da: Das Röschen sticht. Heftig schüttelt sich eine bedrängte Tänzerin im Kampf, voller Abscheu auch – das Röschen stößt, und zwar einen Schrei aus, wie ihr historisches Vorbild. Abscheu und Widerwille liegen in diesem Schrei, mehr noch als Angst und der Ruf nach Hilfe.

Im weißen Kubus sehen wir Projektionen von Bildern der Ausstellung, die mit den Gesichtern der Performerinnen zum Leben erweckt werden. Die dreieinige Susanne, bestehend aus den Tänzerinnen Sophia Otto und Felicia Nilsson sowie der Sängerin und (Violon-)Cellistin Marei Seuthe, wehrt sich. Zu den Klängen von Händels „Piangero“ beweinen die Susannen ihr Schicksal – und bündeln dann ihre Kräfte. Die beiden Tänzerinnen knüpfen ihre Haare zusammen, reißen ihren Käfig ein und entwickeln Selbstbewusstsein und Härte. Vom Band hören wir Zitate aus dem Prozess gegen Jeffrey Epstein sowie aus Katie Johnsons Anklage gegen Donald Trump, erschreckende, ungeschönte Schilderungen vom erzwungenen Sex mit Minderjährigen. So folgt denn die Aufführung, wiewohl sie in einigen Szenen ein wenig platt und hilflos wirkt, recht überzeugend der Dramaturgie der Ausstellung: vom Voyeurismus über den Missbrauch, über Klage und Hilfeschrei zur feministischen Selbstermächtigung. Die Frau von heute kann sich wehren. Wenn sie Mut fasst, braucht sie keinen Daniel mehr. Den gaffenden, grapschenden alten Vergewaltigern wird das Handwerk gelegt.