Trakl, Tanz und tiefes Wasser
Fünf Minuten, bevor es richtig losgeht, beginnen die Bilder auf dem Boden zu tanzen. Zwei Gittermuster hat Florian Etti auf die spätere Tanzfläche im Bilker Bunker projiziert, rechts silbrig, links dunkelgrau mit knallrot. Ein wenig erinnert das an industrielles Design. Nun also beginnt die 3D Animation: Eine androgyne, futuristische Figur, eine Mischung aus Mensch und Roboter, nimmt einige Schritte Anlauf und springt dann im Straddle-Stil über eine imaginäre Hochsprunglatte. So jedenfalls denkt sich das der Schreiber dieser Zeilen am Vorabend seines Besuchs beim Düsseldorfer INDOOR ISTAF, aber vielleicht bedeutet das alles ja auch etwas ganz anderes: Die Gedanken sind frei, und Etti und seine Performer schlagen den Betrachter nicht in enge gedankliche Fesseln.
Aus dem Obergeschoss, von dem aus einige Zuschauer eine wunderbare Draufsicht auf Ettis Animationen haben, erklingt der Bassbariton von Thomas Huy. Etti ist ein renommierter Bühnenbildner, der mit großen Regisseurinnen und Regisseuren wie Karin Beier, Werner Schroeter, Burkhard Kosminski, aber auch zum Beispiel Sönke Wortmann zusammengearbeitet hat, mit Choreographen wie Martin Schläpfer; er kennt die großen Häuser der Opern- und Theaterwelt. Huy trat schon bei der Ruhrtriennale, in der Düsseldorfer Tonhalle und am Opernhaus in Wuppertal auf. In jüngerer Zeit wandte sich Etti zunehmend der Digitalen Kunst zu; Huy beschäftigt sich seit Jahren mit modernen Formen des Musiktheaters. Und so finden sich die zwei, die an den großen repräsentativen Häusern zu Hause sind, in einem der kleinsten, aber auch der coolsten Kunsträume der Düsseldorfer Freien Szene zusammen, im unverputzten Beton des Bilker Bunkers mit seinem rauen Charme, und machen experimentelles Theater. Zum ersten Mal, behaupten sie, gehen zeitgenössisches Tanztheater und 3D Kunst eine Liaison ein und verschmelzen mit den Choreographien und der Musik von Yoav Bosidan (Tänzer in der Ballettkompanie der Deutschen Oper am Rhein; auch er experimentiert mit Digitalkunst) und dem Tanz von Bosidan und dem ebenfalls in Düsseldorf lebenden kanadischen Choreographen Daniel Smith zu einem Gesamtkunstwerk.
Huy ist mittlerweile auf der Spielfläche im Erdgeschoss angelangt; die Projektion auf der rechteckigen Grundfläche, die von Ettis Videos bespielt wird, hat sich verändert. Scheinbare Glitches werden sich später als Wassertropfen entpuppen, wenn sich in die Musik leise plätschernde und glucksende Sounds mischen und sich zum klassischen Gesang der intensive Sound von Bosidans Komposition gesellt. Huy singt das Trakl-Gedicht „Verklärter Herbst“: „Es ist der Liebe milde Zeit. / Im Kahn den blauen Fluss hinunter / Wie schön sich Bild an Bildchen reiht - / Das geht in Ruh und Schweigen unter.“ – Tough Water heißt die Performance, die die vier Künstler aus drei Sparten entwickelt haben. Nun ist es nicht mehr eine androgyne Video-Gestalt, die choreografierte Bewegungen vollführt, sondern ein echter Performer: Yoav Bosidan rollt sich auf dem Boden ab, eine genderfluide Gestalt auch er in seinem Kostüm und mit seiner Gesichtsmaske. Die Bewegungen könnten denen eines Flussbewohners nachempfunden sein, einer Wasserschlange oder einer Kaulquappe, die sich gegen eine starke Strömung behaupten müssen. Doch wenn wir bei der Etti-Figur schon die Leichtathletik-Assoziation hatten: Als Bosidan aufsteht und seine Bahnen über Ettis Wasser-Video-Installation zieht, denken wir ans Bodenturnen: Sportlich ist diese Performance auch.
Quietschbunt sind mittlerweile die über den Boden flackernden 3D Animationen; sie kontrastieren farblich wunderbar mit den rauen Betonwänden des Bunkers und der schwarzen Kleidung des Tänzers. Der bekommt nun Gesellschaft: Daniel Smith betritt den Raum. Sein Trikot ist aus dem gleichen Stoff gemacht wie die Maske, die den gesamten Kopf umfasst und sein Gesicht zunächst verdeckt. Das Video-Design ist wieder technischer geworden, und seine Farben sind nun kompatibel mit der Kostümierung des Performers, der plötzlich schreit - einmal nur und kurz, aber es ist ein gewollter atmosphärischer Störer: „Kleb‘ es ab!“ - Warum?
Keine Ahnung. Aber das Gitter wird kleinmaschiger und nimmt bald das gesamte Rechteck der Projektionsfläche ein. „When I am laid in earth may my wrongs creazte no trouble in thy breast“, singt Thomas Huy nun „Didos Klage“, die Schluss-Arie aus Henry Purcells Oper „Dido und Aeneas“: „Remember me! Remember Me! But ah! Forget my fate.“ Es kommt zu einem Kampf, der an asiatische Kampfsportarten erinnert; Smith scheint Bosidan zu erledigen. Georg Trakls „Verklärter Herbst“ wird wieder aufgenommen: „Gewaltig endet so das Jahr…“ - Hat da nicht gerade - anders als in Trakls Gedicht - etwas gewalttätig geendet? Eher nicht: Die beiden Kämpfer nähern sich einander an, Thomas Huy kommt hinzu, und die drei finden in einem Tanz zusammen. Tough Water wird ruhiger: Ettis Bilder brechen sich nun in sanft sich kräuselnden Wellen. - Das alles ist ein bisschen enigmatisch, aber das Zusammenspiel von Video-Animation, Tanz und klassischem Gesang entfaltet eine faszinierende Wirkung.