WHY? Warum? – Sein oder Nichtsein!
Nur das „ Y“ bleibt vom WHY? als Titel der Performance im Museum Folkwang im Rahmen der Ruhrtriennale. Vier Stunden lang wiederholt sich die Hamletsche Frage nach Sein oder Nichtsein im Dialog von Tanz mit Kunst, Musik und Text. In sechs miteinander verbundenen Raumeinheiten setzen sich die belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker und ihre Companie Rosas mit einundfünfzig ausgewählten Exponaten des Museums auseinander und performen sie in Körperlichkeit.
Der Start vor dem überlebensgroßen Hamlet-Gemälde setzt das Thema des Zweifels, wie er sich in der Tragödie Shakespeares entfaltet, und sich durch die gesamte Performance zieht: Édouard Manets Portrait des Sängers Faure in der Rolle des Hamlet (1877) inspiriert die Tanzgruppe zunächst zur spielerischen Imitation der Körperhaltung des (Vor)Bildes, geht dann über in Bewegungen, die geometrischen Linien zu folgen scheinen und damit in Austausch treten zum gegenüber hängenden fast monochrom wirkenden Prometheus Bound (1952) von Barnett Newman. „To be or not to be“ tönt es zur musikalischen Untermalung (Alain Franco), die im Laufe der Performance zwischen feierlicher Klassik, dem Erlösungsmotiv aus Wagners Götterdämmerung, Grönemeyer-Songs, Pop, Rock und Techno variiert und auch immer wieder durch Texte unterbrochen wird, seien es groteske Fragmente aus Heiner Müllers Hamletmaschine, die Faustsche Frage nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält oder Thesen der modernen Soziologie, die den Menschen als einzigen Störfaktor sieht.
Irgendwann verschwindet die Tänzerin Synne Elve Enoksenn nach rechts, Robson Ledesma nach links, nur Nina Godderis gestaltet den Dialog der unterschiedlichen Werke weiter mit raumgreifender Präzision. Das Publikum kann entscheiden, ob es bleibt, dem dynamischen Tänzer nach links folgt oder sich von den gellenden Schreien der Enoksenn im Nebenraum locken lässt, wo sie sich unter Stöhnen mit irrem Blick in Ektase oder gar Wahnsinn zu wälzen scheint; das alles vor dem Gemälde L’Explosion 1871 (deutsch: Die Granate) von Édouard Manet und drei riesigen naturalistischen Herzen von Oliviero Toskani aus einer Benetton-Werbung von 1996. Die Dramatik der Scene lässt fast übersehen, dass direkt neben Manets Explosion ein abstrakter Klee hängt, Feuer bei Vollmond 1933, der trotz seiner Strenge die Dramatik des Manet aufnimmt.
Im gleichen Raum wird später Nassim Baddag einzelne Zuschauer auffordern, sich eine Figur aus der Katastrophen-Gruppe des Manet-Bildes auszusuchen, die er in einer artistischen Breakdance-Akrobatik nachspielen und interpretieren wird.
Ihn trifft man auch in einem Raum, wo er auf dem Kopf stehend mit gespreizten Beinen zwei großformatige Bilder imitiert: Carl Gustav Carus‘ Hochgebirge, Kopie nach Caspar David Friedrich (um 1824) und Morris Louis, Ksi (1960/61). Interessant, wie immer wieder durch die Hängung abstrakte Werke mit gegenständlichen korrespondieren und die Spannung von den Tänzern und Tänzerinnen in Bewegung und Fragen umgesetzt wird.
Viele Fragen durchziehen die Performance, einen Scherz erlaubt sich Nina Godderis, wenn sie zwei Zufallspersonen fragt, was zwischen ihnen sei: What’s between you? Gemeint ist „the corner“, die Ecke des Raumes, die dann ertanzt wird. Weniger konkret sind andere Fragen gemeint: What do you mean? When? How? Where? Who? Und natürlich immer wieder: WHY? Fragen, Zweifel, die fortwährend wiederholt werden, die - mit Blickkontakt zum Publikum gestellt, ohne eine Antwort zu erwarten - umgesetzt werden in Körperlichkeit. Dabei werden Kleidungsstücke abgeworfen, im Raum liegengelassen, erinnern sie später an Gesehenes.
Bemerkenswert die Umsetzung des Videos Reflexion über die Geburt der Venus (1976) von Ulrike Rosenbach durch den Tänzer Robson Ledesma. Ausgehend von Botticellis „schamhaften“ Venus aus dem 15. Jahrhundert, die die Künstlerin lebensgroß auf ihren eigenen, vorne weiß, hinten schwarz angemalten Körper projiziert, dreht sie sich im Video zu dem Lied Sad-eyed Lady of the Lowlands von Bob Dylan ganz langsam um sich selbst. Auch Robson Ledesma dreht sich kaum merklich um sich selbst, entkleidet sich dabei und übernimmt für seinen schönen Männerkörper die schamhafte Gestik der weiblichen Vorbilder: eindrucksvoll.
Neben solchen Momenten der Ruhe gibt es kämpferische Auseinandersetzungen von verschiedenen Tänzerinnen und Tänzern, etwa vor der Skulptur Mensch (Kain und Abel) 1918 von Rudolf Belling, bei denen sich Hass und Agonie dramatisch thematisieren.
Vier Stunden sind lang. Und dennoch, manches entgeht einem, manches wird wiederholt, vieles variiert: insgesamt nimmt man Teil an einem grandiosen Gesamtkunstwerk.
Anne Teresa De Keersmaeker bespielt mit ihrer Companie Rosas nicht zum ersten Mal ein Museum, sie tanzten schon im Louvre, neu aber ist, dass bei diesem Projekt die Objekte eigens für die Performance zusammengestellt wurden, für das Haus war dabei Antonina Krezdorn zuständig.
„Longing for Tomorrow - Sehnsucht nach morgen“ ist das Motto dieser Ruhrtriennale. Die Auswahl von Kunstwerken aus der Zeit der Romantik bis zu provokanten Werbeplakaten aus jüngster Zeit schlägt einen Bogen von der Erinnerung zur Hoffnung, dass es noch ein Morgen gibt. Die Companie Rosas setzt das Erinnern und Hoffen brillant in Raum und Zeit um.