Übrigens …

Jeanne d'Arc im Theater Münster

Die Flammen der Visionärin

Die Stimmen der Heiligen, von deren Erlebnis sie erzählte, führten eine junge Frau aus einem bäuerlichen Kaff in Lothringen bis zum Thronfolger der Franzosen. Jeanne d’Arc trug durch die flammende Wirkung ihrer Persönlichkeit entscheidend zur Befreiung der belagerten Stadt Orléans bei, geriet dann ins Intrigengeflecht zwischen England und Frankreich, zwischen kirchlicher und weltlicher Macht, und endete qualvoll auf dem Scheiterhaufen in Rouen. Nach ihrem Tod aber wurde die „Jungfrau von Orléans“ selbst zur Heiligen und zur Nationalheldin.

Der Tanzabend, den Münsters Choreografin Lillian Stillwell dieser faszinierenden Figur widmet, überträgt deren Wirkung in ebenso faszinierende Bilder und Klänge. Wenn dunkle Gestalten auf nächtlicher Bühne geheimnisvolle Gesänge ertönen lassen, mag man zu Beginn der einstündigen Aufführung sogleich die Erlebnisse des Bauernmädchens assoziieren: Der Opernchor des Theaters Münster singt a-cappella-Stücke des Komponisten Beat Furrer zu prophetischen Texten Leonardo da Vincis. Ihr bannender Effekt speist sich nicht nur aus dem fabelhaften Gesang des sanft choreografierten Ensembles, sondern ebenso aus der kunstvoll kargen Optik: Anton Tremmel dirigiert aus dem kaum beleuchteten Orchestergraben des Großen Hauses, keinerlei Übertitel lenken vom Bild ab - der Traum der Theatermacher, hier vor allem von Lichtdesigner Marco Vitale und Bühnenbild-Mitarbeiterin Stella Sattler.

Gewiss wird dem Publikum nicht nur in diesem ersten Teil „Stimmen“ ein Schlüssel für schnelle Erklärungen verweigert. Auch und vor allem im abschließenden dritten Teil „Zukunft“, den das Tanzensemble in den nun hellen Kostümen Louise Flanagans gestaltet, geben Lillian Stillwells vielfältige Bühnenaktionen Anregungen, aber weniger konkrete Handlungselemente. Zum Ende hin indes taucht eine zentrale Figur gedoppelt auf, als Mann und als Frau. Assoziationen, die diesem Teil vorangingen, dass etwa Jeannes Visionen zur Idee von Visionären in der Masse führen, beschreibt Lillian Stillwell im Programmheft.

Zentrales Ereignis des Abends aber ist neben den Flammen, die im ersten Teil schon auf das Schicksal der Heldin anspielen, der zweite Teil „Mut“. Choreografie und Regie lassen viele Hinweise auf die Lebensereignisse der Jeanne d’Arc anklingen, von den Menschen, die ihr folgen, über den Eisenhandschuh, der sie als Kriegerin markiert, bis zum Lichtdom und der Krone, die sie nach ihrem Triumph in Orléans dem „Dauphin“ bei seiner Königskrönung in der Kathedrale von Reims verschafft. Die Bilder sind so atemberaubend wie der Tanz vor allem von Protagonistin Valerie Yeo.

Hinzu kommt aber noch ein besonderes Element: Zur Musik des Chores treten die Schlagzeugstücke der beiden virtuosen Orchester-Percussionisten Relmu Levalle Campusano und Thomas Korschildgen. Das beginnt mit Steve Reichs „Clapping Music“ und steigert sich zu den grandiosen Stücken von Peter Sadlo und Gene Koshinski (im dritten Teil), die für sich genommen schon begeistern und dem Tanzstück zu weiterer suggestiver Kraft verhelfen. Kein Wunder, dass sich der Schlussapplaus kurzzeitig zum Klatschmarsch steigerte.