Übrigens …

Die sieben Todsünden im Wuppertal, Schauspielhaus

Ja, da muss man sich doch einfach hinlegen

Ja, da muss man sich doch einfach hinlegen“ heißt es im Barbara-Song aus der Dreigroschenoper. Einfach umwerfend ist auch die Wiederaufnahme dieses grandiosen Pina-Bausch-Abends im Wuppertaler Opernhaus, in dem auch dieser Song vorgetragen wird. 1976 gestaltete die legendäre Choreographin diese Inszenierung mit dem Titel Die sieben Todsünden. Es gab seitdem mehrere Wiederaufnahmen, jetzt im April 2025 erneut eine, u.a mit Ute Lemper und Erika Skrotzki als prominenten Gästen.

Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht, Neid“ sind die sieben Todsünden, die Bertolt Brecht und Kurt Weill zu einem Ballettabend zusammenfassten. Er wurde im Juni 1933 in Paris uraufgeführt, als die beiden prägenden Künstler der späten zwanziger Jahre bereits vor den Nazis aus Deutschland geflohen waren.

Die Geschichte von Die sieben Todsünden ist kein Meisterwerk, bringt aber beeindruckende Songs, die jedoch nicht zu den Brecht-Hits gehören. Zu Anfang, im „Lied der Schwester“, erfahren wir, dass zwei Schwestern, die beide Anna heißen, von ihrer Familie durch Amerika geschickt werden, um Dollars zu machen für ein kleines Eigenheim in Louisiana. Anna I und Anna II machen sich auf eine gemeinsame Tour durch Städte wie Philadelphia oder San Franzisko, und werden an jedem Ort mit einer Todsünde konfrontiert. Sie erpressen und werden erpresst, lügen und werden belogen, prostituieren sich und müssen sich immer wieder an herrschende, kapitalistische Männergesellschaft anpassen. Erschöpft und gedemütigt kehren die beiden ins tugendhafte Louisiana zurück, wo das nette Eigenheim nun steht, das ihre Dollars finanziert haben. Sünden darf man zum Nutzen des Spießertums begehen, dann muss wieder Sitte und Ordnung einkehren. Dieser satirische Blick ist nicht brandaktuell, hat aber immer noch Brisanz.

1976 kürzt und ändert Pina Bausch erheblich, hält sich nur an den roten Faden der Story, lässt aber alle Lieder singen. Sie verschärft die Konflikte aus weiblicher Sicht. Männer kommen dabei nicht gut weg. Sie sind als Freier inszeniert, wollen nur das eine von Anna. Wir sehen martialisch-stampfende Anzug-Paraden. Ihr Bedürfnis nach Sex ist mit kleinen, aber gewaltsam wirkenden Gesten angedeutet, genau wie die Bezahlung. Anna entreißt jedem der Herren ein Weste oder eine Anzugjacke. Sie lässt sich benutzen, nimmt ihnen aber auch etwas dafür. Die Gruppentänze der männlichen Dominanz sind stark choreographiert. Die Frauen tanzen mindestens so imposant, immer mit etwas Wehmut und Traurigkeit.

Die sieben Todsünden, eher in schwarz-weiß gehalten, sind zur Pause beendet, danach folgt im zweiten Teil ein bunter Bertolt Brecht/Kurt Weill-Abend unter dem Titel Fürchtet euch nicht. Jetzt werden bekannte Hits gesungen aus der Dreigroschenoper, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny und Happy End. Es wird satirischer als im ersten Teil, mit einem bitteren Beigeschmack. Den Song „Surabaya Johnny, warum bist du so roh“ bringt die Sängerin Melissa Madden Gray schmissig auf die Bretter mit der bekannten Wendung: „Nimm doch die Pfeife aus dem Maul, du Hund“. Der Bänkelsong „Ja, mach nur eine Plan“ beeindruckt als bewegungsstarke Gruppenchoreographie mit a-cappella-Gesang. Die Bühne ist weiblich, farbig, sexy bevölkert. Alle Tänzerinnen und Tänzer tragen bunte, schrille Frauenklamotten. In die Song- und Tanzchoreographie integriert ist eine Parallelhandlung mit bitterem Beigeschmack. Ein gestandener Mann im perfekt geschneiderten Zwirn folgt in einem sich wiederholenden Stalking einer sehr jung aussehenden Tänzerin mit den Worten „Fürchte dich nicht“. Es könnte ein Herr der Gesellschaft der Besserverdienenden sein oder der Kirche. Hier prangert Pina Bausch das Wegschauen und die Gleichgültigkeit an, wenn es um Gewalt an Frauen geht. Denn als der Mann die junge Tänzerin vergewaltigt, schmettert der Frauenchor „Show me the way to the next whiskey-bar“. Die Leiden anderer Frauen werden ignoriert. Der Ruf nach „MeToo“ und Aufdecken der Missbrauchsfälle in der Kirche ist bei Pina Bausch angelegt.

In den siebziger Jahre als Die sieben Todsünden herauskam, hat Pina Bausch das Ballett in „Tanztheater Wuppertal“ umbenannt. Es bedeutet, dass Sprache, Gesang, bildende Kunst mit dem Tanz verknüpft werden zum Gesamtkunstwerk. Die Wiederaufnahme von Die sieben Todsünden bietet das eindringlich, dynamisch, kraftvoll, bewegungsstark. Ein umwerfender Abend.