Verzerrte Hexen
Verbrannte Erde soll es sein, was Nadia Lauro auf der Bühne angerichtet hat. Vielleicht ist es auch die wüste Landschaft eines fernen Planeten, der unter der Oberfläche bewohnt ist oder war. Zwischen dem losen Granulat, auf dem die bedauernswerten Tänzerinnen performen müssen, erheben sich silbern glänzende Halbkugeln, technoide Bubbles. Das ist ein ästhetisch eindrucksvolles Bühnenbild, doch heimelig ist es nicht. Auch die Lautstärke sei nicht immer heimelig, hatte man uns gewarnt und am Eingang Ohrstöpsel verteilt. Aber der Gehörschutz erweist sich als überflüssig. Die Dezibelzahl bleibt erträglich; dennoch wird es manchmal unangenehm: Glitch Witch heißt die jüngste Arbeit der weltweit renommierten Choreografin Meg Stuart, die jetzt bei PACT Zollverein in Essen gastierte, und Glitches, wir wissen es, sind kleine Störungen, versehentlich auftretende (und in der Kunst manchmal absichtlich herbeigeführte) Verzerrungen bei digitalen Bildern oder Sounds. So kommt es denn auch: Reibende, kratzende Geräusche stören ab und zu die musikalischen Harmonien. Auch in die Bewegungen der Tänzerinnen schleichen sich „glitchige“ Disharmonien ein, die den Flow unterbrechen. Bei den drei Damen auf der Bühne handelt es sich schließlich um Hexen. Die allerdings wollen nicht Harmonien stören, sondern herstellen.
Der gedankliche Ausgangspunkt der Performance ist die Überlegung, dass Körpern ihre Geschichte und ihre Geschichten eingeschrieben sind. Konsequent hat Meg Stuart in ihrem Besetzungskonzept auf Gegensätze gesetzt. Gemeinsam mit der Choreographin - einer Weißen im für Tänzerinnen ungewöhnlichen Alter von über 60 Jahren - stehen zwei unterschiedliche Persons of Colour auf der Bühne: die schwarze Tänzerin Omagbitse Omagbemi vom „Dance On“ Ensemble für Tänzerinnen jenseits der 40 und die asiatische Musikerin Mieko Suzuki. Verstärkt wird die Fremdheit der Figuren durch Masken und Kostüme. Unsicher und tastend, im Zeitablauf aber auch zunehmend lustvoll bewegen sie sich aufeinander zu oder umeinander herum - wie Aliens, die sich auf einem fremden Planeten zunächst orientieren müssen und auch die Kommunikation miteinander erst einzuüben haben. Durch die Abfolge ihrer Tänze versuchen sie, Trennendes zu überwinden und eine gemeinsame Körpersprache zu entwickeln; darüber hinaus erfinden sie in einer rätselhaften, für das Publikum nicht verständlichen, aber scheinbar mit englischen Wortfetzen durchsetzten sprachlichen Sequenz auch eine gemeinsame Kunstsprache. Die Glitches entstehen - so zumindest das vom künstlerischen Team behauptete Konzept - an den neuralgischen Punkten ihrer Beziehungen, an denen es zwar knirscht, aber wichtige Schritte zum Zusammenwachsen und zu gemeinsamer Solidarität unternommen werden. Erstmals fällt das auf, als zwei der Performerinnen aufeinander losgehen wie zwei Fechterinnen im Nahkampf - da klopft und vibriert die Soundscape heftig. Wenn der Rezensent es richtig verstanden hat, sollen die Glitches eine Art Kleister zwischen den Figuren bilden und also eine durchaus positive Wirkung entfalten. Der Kampf löst sich in einer Art Hexensabbat mit Gesten der Beschwörung auf - Konfrontation und empathisches Miteinander werden einander an diesem Abend vielfach abwechseln.
Sicher ist der Schreiber dieser Zeilen im Hinblick auf diese Interpretation nicht. Das Konzept erschließt sich beim einmaligen Besuch der Performance nicht auf Anhieb - es kommt - insbesondere für eine Aufführung des Choreographischen Theaters - ausgesprochen verkopft daher. (Spät am Abend allerdings sind ein paar wirklich herausragende Tänze - vor allem von Omagbitse Omagbeni - zu sehen.) Nach etwa 30 Minuten scheinen die wichtigsten Schritte zur Annäherung gegangen. Für den Laien nicht überraschend geschieht dies im locker daherkommenden, überwiegend verbalen Teil der Aufführung. Die eine oder andere feministische oder zumindest anti-patriarchalische Bemerkung erleichtert die zunehmende Solidarität unter den drei Frauen: „I do not know whether I believe in past lives, bit I think this is my first life as a woman“, sinniert Meg Stuart, die ironischste der drei Performerinnen, in einem der wiederkehrenden humorvollen Momente der Aufführung und möchte einen Western drehen: „Aber ohne Männer und Pferde, sondern mit Frauen und Kamelen.“ Omagbemis Wunsch „I want to follow someone who does not lead the way“ kann sich auch der alte weiße Mann, der diese Zeilen schreibt, anschließen - mit Einschränkungen, dann kennen wir nicht alle die eine oder andere Situation, in dem wir uns gern kompetenteren Menschen als uns selbst anschließen möchten? Freiwillig natürlich, nicht aus althergebrachten patriarchalischen Traditionen…
Die Metamorphose jedenfalls gelingt, auch mittels zahlreicher - stark typverändernder - Kostümwechsel, wobei nach dem Geschmack des Rezensenten Omagbitse Omagbemi in Sachen modischer Kreativität den Vogel abschießt. Verändern sich mit Kostümen, mit Kleidung auch Identitäten? Zur vollständigen Erkundung des anfangs fremden Gegenübers gehört es auch, die andere in unterschiedlichen Rollen zu erleben. Visuell und akustisch gibt es nach etwa der Hälfte der Vorstellungsdauer harmonische, schmeichelnde Momente. Sogar die verwüstete Landschaft bekommt eine positive Konnotation, wenn die drei Performerinnen zu asiatisch anmutenden Klängen staunend, beschwörend die glänzenden Halbkugeln besteigen und die Landschaft harmonisch in ihre Choreografie einbeziehen. Doch bleibt die Harmonie nicht bestehen; am Ende wird der Sound, der zu großen Teilen von Mieko Suzuki am rechten Bühnenrand selbst produziert wird, noch einmal extrem disharmonisch; Lichtdesigner Nico de Rooij aber lässt einen wunderbaren Lichtdom entstehen, der vielleicht für die Utopie einer leuchtenden, schönen künftigen Welt steht. Ein poetisches Schlussbild mag diese Spekulation stützen.