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Romeo und Julia in NRW: Unsterbliches Liebespaar tanzt, singt, spricht

von Marieluise Jeitschko

„Der Liebe leichte Schwingen trugen mich…“. Wie tanzt man diese vielleicht schönste, romantischste Liebeserklärung der Weltliteratur? Wie singt man sie? Wie spricht und spielt man sie heute? In NRW sind zur Zeit drei der bekanntesten Varianten der italienischen Liebestragödie aus der Renaissance zu sehen: das Theater Krefeld-Mönchengladbach zeigt Romeo und Julia als Ballett von Robert North mit der hinreißenden Musik von Sergej Prokofjew und in Münster stehen seit dem Wochenende Shakespeares Drama und Gounods Oper Roméo et Juliette einander gegenüber.

Die Mönchengladbacher Ballettpremiere wartete mit einer ganz besonderen Besetzung auf: das unsterbliche, tragische Liebespaar tanzten zwei zauberhaft junge Tänzer aus Verona (!), die auch privat ein Paar sind: Elisa Rossignoli und Alessandro Borghesani. Als Julias Eltern treten in allen Vorstellungen in den niederrheinischen Partner-Theatern Choreograf North und seine langjährige künstlerische Partnerin und Ehefrau Sherri Cook auf. 

Der weltberühmte amerikanische Choreograf und Tänzer North, der die Kompanie seit dem plötzlichen Tod von Heidrun Schwaarz (2006) mit größter Sensibilität und Kompetenz führt, hat seine Choreografie 1990 für das Genfer Ballett kreiert. Zwar folgt er im Wesentlichen dem Verlauf der Tragödie, wie Shakespeare sie nach italienischen Erzählungen aus dem 15. Jahrhundert geschrieben hat. Aber er verlegt das Szenario vor allem optisch in die Renaissance. Ausstatter Andrew Storer stellt auf die Bühne Arkaden mit Marmor verbrämten Rundbögen, vertäfelt Decken und Böden im himmelblau-orange-weißen Schachbrettmuster-Kacheln und kleidet die beiden rivalisierenden Patrizierfamilien in schwingende, opulente Gewänder. Vor allem die schwingenden Röcke der Frauen und Mädchen geben den graziösen Tänzen eine heitere Leichtfüßigkeit der Jugend. Gavotte und Menuett unterstreichen die Gravität der Alten. Ganz besonders reizvoll erklingen die „Morgenserenade“ und der häufig gestrichene „Tanz der Mandolinen“ in authentischer Besetzung mit dem Zupforchester Krefeld neben den vorzüglichen Niederrheinischen Sinfonikern, die Prokofjew unter Graham Jackson so plastisch und ausdrucksvoll musizieren wie es diese meisterlich theatrale Partitur verdient.

Masken, Narren und eine Commedia dell’arte-Truppe lockern die Marktplatzszenen und den Ball im Hause Capulet auf. Wie tief die Feindschaft zwischen den beiden Familien in die Reihen der loyalen Dienerschaft gedrungen ist, zeigt North mit dem Tod eines Mädchens, das von vergifteten Äpfeln der Gegenseite gegessen hat – ein eher verwirrendes Detail vor den Männerkämpfen, die blass bleiben, hat man doch hier ganz besonders John Crankos unvergleichliche Choreografie von Mercutios langem Todeskampf im Gedächtnis zu den harschen, synkopischen Rhythmen und dissonant kratzenden Streichern.

Gerade diese Kämpfe gehören dagegen in der rasanten münsterschen Schauspielinszenierung von Markus Kopf zu den mitreißendsten Szenen – neben dem „Ball“ in vernebelter, finster-bunter Discohöhle. Benjamin Armbruster hat den edel gestylten, aristokratisch-arroganten Tybalt aus dem Capulet-Lager (Ilja Harjes) und den provokant punkigen, drahtigen Mercutio (deklarierter Publikumsliebling: Tim Mackenbrock mit Tätowierungen bis auf den kahlen Schädel, in ärmelloser Weste und schmaler heller Streifenhose) zu brutalen, knallharten Kampfsportlern gedrillt. Zwei „Jugendgangs“ stehen einander gegenüber. Als unbekümmerter Teenie kommt Victoria Schmidt (in der gesehenen Vorstellung am 24. April) daher, ihr Romeo (Bernhard Glose) als schüchterner, romantischer Beau. Bühnenschrägen und Metallkonstruktionen beherrschen den Raum… als wären wir an New Yorks Westside. Jedenfalls bewegt sich diese vor allem vom jugendlichen Publikum, das wir glücklicherweise (in der Vorstellung am 24. April) erlebten, lautstark gefeierte „Show“ in der Alltags-Textfassung von Ralph Blase durchaus im Dunstkreis von Leonard Bernsteins Musical. 

Wie anders Gounods Oper! Nach wenigen sehr „Holländer“-nahen Akkorden zu Beginn, regieren lyrische Hochromantik, klare Kantilene und Melismen. Tragik lastet vom getragenen Chor-Prolog bis zum traurigen Ende. Unter der musikalischen Leitung von Hendrik Vestmann schleppt sich die Inszenierung von Igor Folwill schwerblütig und düster dahin, ohne auch nur einen Deut vom Flair der Entstehungszeit abzuweichen. Das größte Manko ist die mangelnde Personenregie des Regisseurs. So wirkt die für eine 14-Jährige reichlich kokette, tief-dekolletierte Henrike Jacobs eher wie eine Traviata, während ihr Romeo Youn-Seong Shim sein prachtvoll ebenmäßiges Organ weitgehend statuarisch an der Rampe konzertant vorführt. Selbst in der Gruft, wo seine Geliebte aufgebahrt liegt, würdigt er sie keines Blickes, übermannen ihn nicht Verzweiflung und Trauer.

„Der Liebe leichte Schwingen trugen mich…“ Wie tanzt, singt, spricht und spielt man das heute? Eindeutig fängt das Ballett in diesem Vergleich die Poesie am besten ein. Als „Remake“ der Shakespeare-Tragödie für heutige Leute hat das Schauspiel die Nase weit vorn.

Wer‘s uralt und gleichzeitig ganz und gar heutig möchte, sollte nach Neuss zum traditionellen Shakespeare-Festival im original-getreu nachgebauten Globe-Theatre fahren: dort gastiert am 20. Juni die Pariser Compagnie Magnus Casalibus mit einer eigenen Fassung des Shakespeare-Textes, Romeo et Jules yet. Das Liebespaar spielen, ausgehend vom elisabethanischen Usus, zwei junge Männer – sie allerdings verlieben sich bei den Proben ineinander und kämpfen für ihre Liebe.

(Foto links: Ballett in Mönchengladbach. Fotograf: Matthias Stutte)