„.... es muss auch mal Theater sein“
In NRW vermitteln immer mehr Initiativen kostenlose Eintrittskarten für Theater, Kleinkunst und Konzerte an Bedürftige
„Der Mensch lebt nicht von Brot allein, mal muss es auch Theater sein.“ Paul Sch. aus Düsseldorf schmunzelt bei diesem von ihm abgewandelten Slogan und freut sich bereits auf einen Besuch des Düsseldorf-Festival an einem der nächsten Abende. Der 56jährige ist seit längerer Zeit arbeitslos und kann sich mit seinen Hartz-IV-Bezügen kaum einen Theater- oder Konzertbesuch aus eigener Tasche leisten. „Früher war das anders, da hab ich verdient und war mit meiner damaligen Frau sicher ein oder zweimal pro Monat bei Kulturveranstaltugen“.
Jetzt ist Sch. einer von inzwischen gut 100 „Kulturgästen“ in der Stadt, die über die Düsseldorfer Kulturliste angefragt werden, ob sie zu einem bestimmten Termin Interesse haben, sich eine Tanz-, Theater-, Musik- oder Comedy-Veranstaltung anzusehen. In der NRW-Landeshauptstadt ist die Initiative erst im Sommer dieses Jahres gestartet. Sie bietet Kulturinstitutionen die Vermittlung von neuen Besuchern an. Die Kulturveranstalter selbst werden über die Kulturliste zu Förderern der sozialen und kulturellen Teilhabe.
Die Anzahl der zu vermittelnden freien Plätze variiert von Veranstaltung zu Veranstaltung und wird von den Institutionen selbst festgelegt. Kulturgast kann werden, wer über ein geringes Einkommen verfügt und dies durch offizielle Dokumente wie etwa Bescheid zu Arbeitslosengeld II oder Hartz-IV belegen kann. „Gleichzeitig hab ich angegeben, dass ich mich vor allem für Tanz und Comedy interessiere. Die Kulturliste ruft an, sobald sie Karten aus meinem Interessengebiet hat und ich sage, ob ich die Karten an dem Termin haben will“, erzählt Sch. Er freut sich besonders darüber, dass er für die Kulturveranstaltung auch eine Begleitung kostenlos mitnehmen kann. Noch gibt es nicht sehr viele Kulturpartner, so dass die „Gäste“ nur etwa alle zwei Monate Karten bekommen können.
Die in Essen ansässige Kulturloge Ruhr feierte Mitte September bereits ihren dritten Geburtstag. In den drei Jahren konnte die Initiative schon 2.500 Gästen über 12.000 Plätze von insgesamt 120 Kulturpartnern im Ruhrgebiet vermitteln, sagt Emily Kunze, die vor 20 Monaten als Trainee bei der Kulturloge Ruhr begonnen hat und nun eine feste Stelle hat. Johann Mehl ist erst seit rund acht Wochen dabei. Der junge Mann macht sein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Initiative. „Viele unserer Kulturgäste bedanken sich nach dem Besuch einer Kulturveranstaltung“, erklärte der junge Mann. Da merke man, dass die wirklich am Theater oder am Tanz hängen.
„Wir sehen zu, dass der Einzelne nicht mehr als vier Mal pro Monat eine Karte erhält“, erläutert Mehl. Die Kultureinrichtungen informieren die Kulturloge natürlich auch darüber, ob die Karten tatsächlich auch in Anspruch genommen wurden oder ungenutzt verfallen sind. „Doch das ist die Ausnahme“, betont das überwiegend ehrenamtliche Team. Die Düsseldorfer Kulturliste wird gefördert durch die Stiftung Mercator und die Vodafone Stiftung Deutschland. Die Kulturloge Ruhr erhält inzwischen Freikarten auch von Veranstaltern etwa aus Bochum, Herne, Witten, Dortmund, Hattingen, Gladbeck, Gelsenkirchen und Recklinghausen und demnächst auch aus Duisburg.
In der NRW-Landeshauptstadt gibt es noch eine weitere Initiative, die sich vor allem Kultur für Kinder und Jugendliche auf die Fahnen geschrieben hat. „Theater auf Rezept“ lautet das Motto des von Kinderärzten vor gut vier Jahren gestarteten Kulturprojekts. Am Ende der anstehenden Vorsorgeuntersuchungen erhalten die kleinen Patienten einen Gutschein, mit dem sie zusammen mit einer Begleitperson eine Theatervorstellung im Jungen Schauspielhaus Düsseldorf besuchen können. Deutlich mehr als 1.000 dieser Rezepte sind seitdem eingelöst worden. „Vielfach sind Eltern und Kinder so erstmals mit Theater in Berührung gekommen“, so der Kinderarzt Hermann-Josef Kahl. Inzwischen gibt es „Theater auf Rezept“ erfolgreich auch in mehreren anderen deutschen Städten.
Vera M. aus Duisburg hat nur eine kleine Rente und ist froh, dass es die Kulturloge gibt. „Das ist ja doch so, wenn man wenig Geld hat, dann verzichtet man doch als erstes auf das Theater oder einen Abend im Konzert.“ Sie habe dann aber schon gemerkt, dass „mir etwas fehlt“. Jetzt macht sie sich auch gerne wieder mal für einen Abend schick und geht mit einer alten Freundin zusammen ins Theater oder Ballett. „Ganz toll ist ja, dass ich da an der Kasse nicht betteln muss um meine Karten. Die sind da auf meinen Namen reserviert ganz so wie bei denjenigen, die die Kulturkosten noch aus eigener Tasche zahlen können,“ sagt die 63jährige.
Christine Ehrig, Mitarbeiterin der Düsseldorfer Kulturliste, weiß zudem, dass auch die Kultur-Veranstalter sich freuen. „Die haben besser gefüllte Zuschauerreihen und manch einer der Kulturgäste kommt später als zahlender Gast wieder, wenn es ihm finanziell besser geht.“ – Andreas Rehnolt