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Coppola, Aischylos und die schöne neue Welt in Mülheim

von Dietmar Zimmermann

 Die Jury kreißte, und sie gebar einen neuen Träger des mit € 15.000,- dotierten Mülheimer Dramatikerpreises. Es war, oh Wunsch und Wunder, der Autor des an diesem letzten Abend der Mülheimer Theatertage präsentierten Stücks. Ewald Palmetshofer saß noch in der Pizzeria, als der Anruf ihn ereilte - wo sonst sollte er sitzen, denn in der Stadthalle gab es schon seit sechs Stunden nichts mehr zu essen. Nun eilte er herbei, um die Glückwünsche der verbliebenen Zuschauer entgegenzunehmen, die trotz leeren Magens bis 23.30 h ausgeharrt und den spannenden Entscheidungsprozess der Jury verfolgt hatten.

 

Ewald Palmetshofer war 2015 bereits zum dritten Mal für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. In den Vorgänger-Stücken (hamlet ist tot. keine schwerkraft, nominiert im Jahre 2008, und faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete, 2010) hatte der Autor um einen mehr oder weniger verwickelten, aber nicht im Detail ausgearbeiteten Plot satirische Portraits von Teilen unserer Gesellschaft konstruiert, die vor allem aufgrund und ihrer sprachmusikalischen Virtuosität überzeugten. Palmetshofer schreibt in einer artistischen Kunstsprache, die einen sogartigen Rhythmus und eine Atmosphäre des Rätselhaften entfaltet. Mit dem in diesem Jahr ausgezeichneten Stück hat sich Palmetshofer sowohl im Hinblick auf die sprachliche Gestaltung als auch in Bezug auf die Entwicklung des Plots weiterentwickelt.

 

die unverheiratete greift einen realen Vorfall aus den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 auf. Längst war der Krieg verloren, Wien bereits befreit, als die Tochter eines Posthalters im oberösterreichischen Mühlviertel einen Soldaten denunzierte, der sich mit dem Gedanken an Desertation trug. Der Soldat wurde standrechtlich erschossen und die Denunziantin nach Kriegsende zu einer zwölfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Um diesen Plot herum bastelt Palmetshofer sein virtuoses Stück, das vor allem die zerstörerischen Auswirkungen von Schuld und Verdrängung aufzeigt, die drei Frauen-Generationen einer Familie vereinsamen und vereisen lassen. Dabei greift der Autor auf Motive und Techniken des griechischen Dramas zurück. Wie ein griechischer Chor agieren vier (Kranken-)Schwestern als Gespenster der Vergangenheit. Sie sind die Erinnyen, die die Familie verfolgen, aber auch die (unscharfen) Erinnerungen im Kopf der mittlerweile 96jährigen ehemaligen Täterin. Der Hass der Tochter entlädt sich in einem Elektra-Monolog. Erinnerungsfetzen, Rückblenden aus unzähligen Perspektiven, Kommentare der Schwestern, das Schweigen der Alten, die Fragen der Jungen, biographische Schnipsel aus dem Leben der Protagonistinnen werden kunstvoll ineinander verschachtelt und lassen erst spät eine Entschlüsselung der Geschichte zu. Es war diese Kunstfertigkeit von Sprache und Struktur des Textes, die „die unverheiratete“ über den zweiten Text im Jury-Finale triumphieren ließ. Nur Jurorin Dagmar Walser vom Schweizer Radio SRF2Kultur wandte ein, die im Grunde recht einfache Geschichte sei ein wenig „übermöbliert“. - Beim Stichwort Möbel sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der höchst kreativ zu Werke gehende Regisseur Robert Borgmann sich am Wiener Akademietheater mit seinem eigenen, die muffige Eleganz des Untergangs atmenden Bühnenbild belohnt hat. Er durfte zudem mit einer Kostümbildnerin (Janina Brinkmann) zusammenarbeiten, die jedem Regisseur von Spuk- und Gespensterfilmen empfohlen sei. Die herausragende Leistung des ausschließlich weiblichen Burgtheater-Ensembles stellte überdies alles in den Schatten, was wir ansonsten in diesem Jahrgang bei den „Stücken“ zu sehen bekamen.       

 

Während sich drei von fünf Juroren am Ende für Ewald Palmetshofer als Preisträger entschieden, votierte Karin Fischer, Kulturredakteurin und Redaktionsleiterin der Sendung Kultur heute beim Deutschlandfunk, für Yael Ronen und ihr Recherche-Projekt Common Ground das auch den Publikumspreis der Mülheimer Theatertage erhielt. So wie Palmetshofer mit seinen Sprachkunststückchen  als Solitär in der deutschsprachigen Theaterlandschaft gelten kann, ist auch Ronens selbstironisches Recherche-Theater ziemlich einzigartig. Die israelische Stückentwicklerin und Regisseurin reiste mit ihrem speziell zu diesem Zweck zusammengestellten Ensemble aus Schauspielern mit (zumindest in der zweiten Generation) ex-jugoslawischem Migrationshintergrund nach Bosnien-Herzegowina und konfrontierte sie mit ihrer eigenen Geschichte. Gemeinsam setzte das Team anschließend für das Gorki-Theater Berlin ein Stück aus privaten Erinnerungen, Erfahrungen und Reiseerlebnissen zusammen. Wobei der Begriff „Reiseerlebnisse“ in diesem Zusammenhang eine unzulässige Verniedlichung darstellt: Zwei Ensemble-Mitglieder stellten fest, dass ihre Väter zur gleichen Zeit im gleichen Konzentrationslager tätig waren: der eine als Täter, der andere als Opfer. Alle wurden konfrontiert mit grausamen ethnischen Säuberungen - und sie diskutierten miteinander im Bestreben um gegenseitiges Verständnis. Als ein „sehr reflektiertes Werk mit kathartischer Wirkung“ bezeichnete Karin Fischer die mit Musik und Filmmaterial angereicherte Aufführung, und Jury-Mitglied Michael Börgerding, Generalintendant am Theater Bremen, ergänzte, die sehr suggestive Aufführung sei der berührendste Abend des Festivals gewesen. Ronens Stück überzeugte durch die Fallhöhe zwischen Alltags-Erinnerungen und grausamer Weltgeschichte und die große Authentizität der Darsteller. Es hatte eine stärkere emotionale Wirkung als die unverheiratete, aber die die größere literarische Kunstfertigkeit und der Mut zum Scheitern, den Ewald Palmetshofer mit der verstiegenen Konstruktion seines Stückes bewies, erschien der Mehrzahl der Jury-Mitglieder preiswürdiger.

Jurorin Dagmar Walser, Theaterkritikerin beim Schweizer Radio SRF2Kultur, hätte den dritten von drei bei diesem Festival herausragenden Texten ausgezeichnet. Wolfram Lotz überschreibt in seinem assoziationsstarken, von groteskem Humor nur so strotzenden, aber letztlich todernsten Text sowohl Joseph Conrads Erzählung Herz der Finsternis als auch Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse Now“. Die lächerliche Finsternis  bricht vor allem über das neokolonialisierte Afghanistan herein; allerdings treten auf der Reise „den Hindukusch hinauf“ auch schwarze Neger von der somalischen Piraten-Akademie mit zutiefst austriakischem Dialekteinschlag und jugoslawische Bürgerkriegsopfer auf. Zwar erzählt Lotz die Geschichte von den Grausamkeiten des zeitgenössischen Neokolonialismus als eine Abfolge schriller Kalauer und Absurditäten, doch gelingt ihm gleichzeitig „eine Parabel der Globalisierung“ (Dagmar Walser). Sein Text ist „eine Infragestellung unserer vermeintlichen Beglückung der Völker der Welt“, wie Karin Fischer es ausdrückte; in satirischer Überspitzung zeigt er die Scheuklappen der westlichen Welt beim Blick auf fremde Kulturen, die zum Scheitern jeglicher Verständigung führen. Regisseur Dusan David Parízek dreht die Schraube an Absurditäten in seiner Inszenierung vom Wiener Akademietheater im Hinblick auf Tempo, Brechungen und überraschende Theaterbilder noch eine Umdrehung weiter - nicht immer mag man ihm folgen. Aber Parízek kann sich auf ein wunderbares Ensemble verlassen: Das ausschließlich aus männlichen Figuren bestehende Stück wird von einem rein weiblichen Ensemble gespielt, und wie schon bei Palmetshofers „die unverheiratete“ ist es Stefanie Reinsperger, die durch ihr offensives, karikierendes und ungeheuer mutiges Spiel aus einer Spitzen-Combo noch herausragt. Gäbe es beim Mülheimer „Stücke“-Festival einen Schauspielerpreis, wäre die Entscheidung in diesem Jahr nicht schwer gewesen.      

 

Michael Börgerding wollte seine Stimme eigentlich Elfriede Jelinek geben, wie er später gestand, doch deren gewohnt munter kalauernde, aber diesmal besonders wütend geratene Textfläche Die Schutzbefohlenen  war trotz einer überzeugenden Laudatio durch Jury-Mitglied Bettina Stucky bereits in der Zwischenrunde der Diskussion ausgeschieden. Ursprünglich hatte Jelinek ihren Text als Reaktion auf die Besetzung der Wiener Votivkirche durch pakistanische Flüchtlinge geschrieben. Als ein Jahr später das Kentern eines Flüchtlings-Kutters vor der Insel Lampedusa mehr als 360 Todesopfer forderte, überarbeitete und ergänzte die Nobelpreisträgerin ihren Text noch einmal. Dieser spiegelt die beiden Katastrophen auf der Folie von Aischylos‘ Die Schutzflehenden, der ältesten überlieferten Tragödie der Dramengeschichte. Wichtiger Träger der Handlung ist der Chor, den Regisseur Nicolas Stemann am Thalia Theater Hamburg mit realen Flüchtlingen aus der sogenannten Hamburger „Lampedusa-Gruppe“ besetzt hat (deren Texte aber aus sprachlichen und dramaturgischen Gründen teilweise von den Schauspielern des Thalia Theaters gesprochen werden). Bettina Stucky und ihr Ko-Juror Robert Koall, Chefdramaturg am Schauspiel Dresden, sehen thematische Parallelen zu Wolfram Lotz‘ „lächerlicher Finsternis“: Auch Jelinek beleuchte die Rekolonialisierung der Welt sowie die Unzulänglichkeit des europäischen Handelns. - Wesentlicher Bestandteil der Aufführungen sind für Stemann die anschließenden Kleingruppen-Diskussionen zwischen dem Thalia-Team sowie Zuschauern und Experten aus Politik und Hilfsorganisationen über die Dilemmata der europäischen Flüchtlingspolitik. Daher kann der Abend wohl nicht ausschließlich im Hinblick auf die literarische Qualität des Texts oder die szenische Umsetzung auf der Bühne beurteilt werden. Jelineks Text ist ein großer, wütender Klage- und Anklagegesang, aber er ist simpler gestrickt und hat trotz der üblichen politisch inkorrekten Kalauer eine geringere Fallhöhe als die meisten der jüngeren Jelinek‘schen Textflächen. Stemann ist es im Gegenzug trotz vieler munterer Inszenierungs-Ideen nicht gelungen, dem Text das Papierene, Trockene, Agitpropartige auszutreiben.  

 

Jelineks Sprachwitze und Kalauer seien jedoch „immer erkenntnisgewinnend“, hob Michael Börgerding in der Jury-Diskussion hervor. Mangelnden Erkenntnisgewinn dagegen warfen manche Zuschauer Dirk Lauckes Szenen-Collage Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute  vor, die mit ihrem Titel auf Brecht und Kroetz verweist: Was der Dramatiker in 23 überwiegend zusammenhanglosen Szenen zum mehr oder weniger verdeckt in allen Gesellschaftsschichten zu findenden Alltagsrassismus zu sagen habe, „wissen wir doch alle schon“, bemängelte ein Zuschauer. In der Tat könnten wir die meisten Szenen kennen, denn sie alle beruhen auf realen Ereignissen, die von Laucke künstlerisch bearbeitet wurden. Dabei nutzt der Dramatiker in seinen Miniaturen die unterschiedlichsten Sprachebenen - jeweils dem Bildungsstand und der Herkunft seiner Figuren angepasst. Das macht die Angelegenheit erstens abwechslungsreich und bei allem Erschrecken auch unterhaltsam, zweitens aber entsteht ein düsteres, kaleidoskopartiges Bild bundesdeutscher Realität. Robert Koall verstieg sich in der Jury-Diskussion zu der ein wenig übertrieben scheinenden Formulierung, Laucke beschreibe in seinem Stück „ein Land im Zustand der Barbarei“. Trotz der von Laucke behaupteten Anwesenheit rechter Gesinnung in sämtlichen Schichten unserer Gesellschaft dürfte der gemeine bildungsbürgerliche Theaterkonsument diese Realität nur vom Hörensagen kennen, aber selbst wenn der Erkenntniswert des Textes begrenzt sein sollte, fand ihn der Schreiber dieser Zeilen durchaus aufrüttelnd. Das unüberhörbare Plädoyer, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen, kann man wohl nicht oft genug wiederholen. Das Ensemble in Jan Gehlers Inszenierung vom Schauspiel Stuttgart spricht die Texte mehr als dass es sie spielt: nüchtern und unaufdringlich, aber wirkmächtig. Immer wieder gelingt es dem Ensemble, eindringliche Bilder im Kopf des Zuschauers entstehen zu lassen, wobei die kürzesten Szenen die wirkungsvollsten sind, denn sie lassen Raum für eigene Gedanken. Die langen Handlungspassagen wirken weniger kraftvoll, weil der literarische Text Wert auf größtmögliche Realitätsnähe legt, also nur Handwerk, nicht Kunst ist.   

 

Lauckes Stück endet jedoch mit einer großartigen literarischen, im Kopf des Autors entstandenen Szene. Bei einer Spielplanbesprechung in einem deutschen Theater wird ein Stück eines israelischen Autors vorgestellt. Es ist die Geschichte eines Bademeisters, der sich eines in seiner Badeanstalt gefundenen, offenbar von den Eltern verlassenen Kindes annimmt und dadurch seine eigenen, aus privaten Erlebnissen herrührenden Traumata überwindet. Das Theater lehnt die Geschichte ab: Ein Stück aus Israel könne nicht ausschließlich auf der privaten Ebene spielen - in der Nähe des Gaza-Streifens gebe es doch wahrlich wichtigere Probleme als ein verlorenes Kind in einer Badeanstalt. Da ist sie wieder: die ethnozentrische, anderen Kulturen unsere eigenen Moralvorstellungen überstülpende Denkweise der Deutschen, die allen anderen vorschreiben möchten, was sie zu tun und zu lassen haben. Da mischt man sich plötzlich ein, auf der Meta-Ebene, wo es nicht weh tut und die Einmischung risikolos ist. Und wo man mit der eigenen political correctness prunken kann.

 

Tatsächlich ist der kritische Blick auf die grotesken Erscheinungsformen politischer Korrektheit eine weitere Gemeinsamkeit vieler in diesem Jahr in Mülheim gezeigter Stücke. Laucke schüttelt darüber den Kopf, Lotz und Ronen unterlaufen sie ironisch, Jelinek mit bösen Spitzen, und Rebekka Kricheldorf greift sie frontal an. In ihrem Stück Homo Empathicus (demnächst in theater:pur), einem Auftragswerk für das Deutsche Theater Göttingen, entwirft sie eine Welt ohne Konflikte. Eine Welt, in der man überkorrekt miteinander umgeht, in der Geschlechterdifferenzen negiert und auch in der Sprache durch die abstrusesten neutralen Formulierungen beseitigt werden, in der auf Ablehnung stets mit Verständnis und mit Dank reagiert wird. Wer bei seinem Arbeitgeber fristlos rausfliegt, hat „spontan die Chance zur Neuorientierung erhalten“, private Trennungen erfolgen im besten gegenseitigen Einvernehmen, weil man sich „emotional auserzählt“ hat, wer sich hässlich fühlt, ist einfach einer „Attraktivitätsdifferenzchimäre“ aufgesessen. Vokabeln, die das Risiko einer negativen Konnotation haben könnten, werden aus der Sprache gestrichen: „Die Scheiße mit Negativem gleichzusetzen, missachtet ihre wichtige Aufgabe.“ Das Klohäuschen wird zum Hygienezentrum, und eine Exkrement-Analyse-Maschine sorgt für körperliches Wohlbefinden. Das alles hat etwas ziemlich Abgefahrenes, Sektenhaftes, doch beim Realitäts-Check erschrecken wir: Vieles, was wir hier hören und sehen, kennen wir - von Kommunikations- und Konfliktmanagement-Seminaren, von den realitätsfernen Forderungen mancher Feministengruppen, von der einstigen politischen Hoffnungsträgerin Kristina Schröder, die künftig nur noch „das Gott“ anbeten wollte etc.    

 

Die Welt, die Kricheldorf entworfen hat, ist wohl nicht Utopie, sondern eher Dystopie. Auch Kricheldorf hat sich für ihren Text an literarischen oder realen Vorbildern orientiert: an Orwells „1984“ und Huxleys Brave New World, am Bhagwan-Osho-Kult, an dem feministischen Roman der norwegischen Autorin Gerd Brantenberg Die Töchter Egalias und vielem anderem mehr. Entsprechend erwies sich die Autorin auch in der Publikumsdiskussion als eine ausgesprochen intelligente, kenntnisreiche Expertin, deren Spott über alles Ideologische sicher vielen im Parkett aus dem Herzen sprach. In Erich Sidlers Inszenierung trägt die komödiantische, zutiefst ironische Darstellung der schönen neuen Welt über eine gute Stunde, bevor auch dieses Thema wie die Beziehung zwischen Harmony und Lu emotional und intellektuell auserzählt ist und die Aufführung Längen bekommt. Die letzte Szene, die einen überspitzten Rückblick auf unsere kaum weniger erstrebenswerte Konflikt-Gesellschaft  mitsamt ihrer Kontrollverluste wirft, erschien den Juroren zu plakativ und diente mehrfach als Argument für das frühe Ausscheiden der Autorin im Rennen um die Mülheimer Dramatiker-Krone. Schade eigentlich, denn es war insgesamt ein unterhaltsamer Abend.

 

Unterhaltsam sind die Stücke von Felicia Zeller immer. Mit dem Regisseur Marcus Lobbes bildet sie angeblich ein fast so unschlagbares Autoren-Regie-Duo wie Jelinek und Stemann. Mit Kaspar Häuser Meer vom Theater Freiburg hatten die beiden im Jahr 2008 den Publikumspreis bei den Mülheimer „Stücken“ abgeräumt - die Inszenierung jenes insgesamt 14. Dramas der Autorin darf als deren Durchbruch in der Dramatikerzunft betrachtet werden. Nun präsentierte das Saarländische Staatstheater Saarbrücken Zellers 19. Werk, das sich in einer bisweilen aberwitzigen, aber vermutlich erschreckend realitätsnahen Farce den Auswüchsen und Tücken der Reproduktionsmedizin widmet. Erneut führte Lobbes Regie, und erneut hat Zeller ein sprachmusikalisches, hochkomödiantisches Werk mit lauter abgehackten Sätzen und ganz viel amüsanter Wort-Diarrhoe komponiert. Doch Wunsch und Wunder lässt manche Wünsche offen, und das Wunder besteht aus einer Enttäuschung: Lobbes hat als Regisseur eigentlich den Ruf, zur Inszenierung von Sprachopern zu neigen; Zellers Texte wiederum benötigen, wie sie selbst fordert, einen ganz eigenen Klang, um sich auf der Bühne zu entfalten. Doch genau dies gelingt der Inszenierung nicht. Da wird zwar gesabbelt ohne Unterlass; das Phrasenhafte, Auswendiggelernte, das die Schauspieler immer wieder ausstellen, spielt natürlich auf die Sprechweise der Zeller’schen Figuren an, aber leider betonieren die Akteure phasenweise mit gewollter Monotonie die Pointen des Textes zu. Zellers suggestive Formulierungen und Vergleiche, ihre witzigen, im besten Sinne boulevardtauglichen Sprachbilder verpuffen häufig wirkungslos, und auch die karikierten choreographischen Bewegungen der Schauspieler wirken merkwürdig gebremst. Einige gelungene Inszenierungs-Ideen, ein schönes, der boulevardesken Komödie zuträgliches Bühnenbild und ein paar sinnreiche musikalische Einspielungen wecken den Gedanken, dass die reproduktionsmedizinische Farce vielleicht die Transplantation in einen anderen, vermutlich größeren Operationssaal nicht überstanden hat. Doch auch Zellers Text reicht nicht an die literarischen Qualitäten von „Kaspar Häuser Meer“ oder dem 2013 in Mülheim gezeigten X Freunde  heran.    

 

Doch der Unterzeichner war‘s insgesamt zufrieden. Er hatte sieben sogenannte „welthaltige“ Stücke gesehen, Stücke von gesellschaftspolitischer Relevanz also. Gar manches davon nahm die ideologischen Scheuklappen der Gutmenschen oder die einseitige Sichtweise institutioneller Besserwisser aufs Korn, die dem Rezensenten beinahe täglich auf die Nerven gehen. Spannend und für den intellektuell anspruchsvollen Theaterbesucher herausfordernd war die Tatsache, dass nahezu alle Autoren mit literarischen Vorbildern spielten - berücksichtigt man, dass in Felicia Zellers Wunsch und Wunder auch Motive aus Grimms Märchen anklingen, waren es sechs von sieben Inszenierungen. Drei der sieben Stücke erschienen dem Rezensenten preiswürdig, und die Reihenfolge, die sich implizit aus der Jury-Diskussion ergab, konnte er teilen - er hätte wohl Homo Empathicus ein bisschen höher bewertet und vielleicht der sympathischeren der beiden Top-Produktionen, nämlich Yael Ronens Common Ground, den Preis gegeben. Aber zweifellos ist die unverheiratete das anspruchsvollere Gesamtkunstwerk.

 

So konnte denn Ewald Palmetshofer in der Pizzeria ein etwas größeres Trinkgeld geben, und wir, die Rezensenten und die vielen von weither anreisenden Fachbesucher, hoffen für die Folgejahre auf ein etwas großzügigeres kulinarisches Angebot. Fast wären wir am letzten Abend verhungert. Aber was ist schon ein ordentlicher Kartoffelsalat gegen solcherart großem Kunstgenuss?