Die Festival-Zeit in NRW beginnt
Andreas Rehnolt gibt einen Überblick über die zahlreichen Theater-Festivals in Nordrhein-Westfalen
Der Reigen der Theater-Festivals in Nordrhein-Westfalen ist in diesem Jahr am 23. April gestartet. Am Wochenende begann das einwöchige Kinder- und Jugendtheatertreffen NRW unter dem Titel Westwind in Gelsenkirchen und Herne. Zehn Ensembles aus ganz NRW treten im Wettbewerb gegeneinander an. Außer Konkurrenz sind zudem fünf weitere Produktionen aus Belgien, Spanien und den Niederlanden zu sehen. Westwind gilt bundesweit als eines der renommiertesten Theaterfestivals für junge Zuschauer und wird jedes Jahr von einem anderen NRW-Theater ausgerichtet.
Zwei Tage nach dem Ende von Westwind beginnen dann in Recklinghausen die traditionellen Ruhrfestspiele. Das Motto der Veranstaltung, die in diesem Jahr zum 70sten Mal stattfindet, lautet Mittelmeer - Mare Nostrum? Bis zum 19. Juni werden Stücke, Autoren und Inszenierungen etwa aus Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland, der Türkei, Zypern, Israel, Ägypten und Algerien präsentiert. Allesamt Länder, die derzeit weltweit gesellschaftspolitisch und medial für Aufmerksamkeit sorgen. Das Festival will die Mittelmeerstaaten als Urlaubs-, Heimat-, Zufluchts- und Krisenregion darstellen - sowie als Geburtsort der europäischen Kultur und Front kriegerischer Auseinandersetzungen.
Unter anderem steht die Inszenierung Die Schutzflehenden - Die Schutzbefohlenen von Aischylos, aus dem Griechischen von Dietrich Ebener und Elfriede Jelinek, auf dem Programm. Bei Aischylos ist die Küste von Argos das „Asylon" der schutzgebende Ort, an dem Fremden Zuflucht gegeben wird, die darum bitten. Selbstverständlich findet sich in dem 163 Seiten starken Programmheft auch Lessings Plädoyer für religiöse Toleranz, sein Stück Nathan der Weise. Weitere Inszenierungen sind Die Odyssee nach Motiven Homer, Prosperos Insel nach Motiven von William Shakespeare sowie ein Theaterprojekt über Migranten mit dem Titel Amare Terra Mia/Mein bitteres Land. Intendant Frank Hoffmann erwartet wie im Vorjahr insgesamt rund 80.000 Besucher.
Ebenfalls im Mai startet das Figurentheaterfestival Fidena in Bochum und drei weiteren Revierstädten. Vom 4. bis 12. Mai rückt das Internationale Festival die asiatische Puppenspielkunst ins Zentrum. 30 Kompanien und Performer aus elf Ländern zeigen Produktionen. Zu den Höhepunkten zählen vietnamesisches Wasserpuppen-Theater, Lounge-Nächte mit überdimensionalem Schattentheater und das Handpuppenspiel Pavakathakali aus Indien. In Mülheim/Ruhr dreht sich vom 7. bis zum 28. Mai alles um das Festival der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik. Die Stücke 2016 bringen unter anderem das Stück The Situation der israelischen Autorin und Regisseurin Yael Ronen auf die Bühne. Das Stück bringt einen Sprachkurs für Flüchtlinge in arabischer, hebräischer und englischer Sprache nach Mülheim. Der Mangel an Deutschsprachigkeit ist nach Überzeugung der Festivalmacher kein Hindernis für die traditionsreichen Theatertage. Palästinenser, Israelis und Syrer sind in dem Stück, das in der Fassung des Maxim Gorki Theaters aus Berlin gespielt wird, durch den Nahostkonflikt über Jahrzehnte auf größtmöglichen Abstand zueinander gehalten worden. Nun treffen sie beim Sprachkurs in einer deutschen Großstadt aufeinander.Insgesamt konkurrieren sieben aktuelle Stücke um den mit 15.000 Euro dotieren Dramatikerpreis. Zum 7. Mal finden zudem in Mülheim vom 9. bis zum 13. Mai die "Kinder-Stücke 2016" statt. Präsentiert werden hier fünf neue Produktionen.
Im Nachbau des Londoner Globe-Theaters im rheinischen Neuss beginnt dann am 27. Mai auch das diesjährige Internationale Shakespeare-Festival. Im 400. Todesjahr des großen englischen Dramatikers reisen 14 Compagnien aus dem In- und Ausland an den Rhein. Gleich zum Auftakt gibt es in Neuss Shakespeare erstmals als Varieté-Nummer mit einer Mischung aus Zauberei, Kabarett, Schauspiel, Musik und Moderation. Neu auch eine kindgerechte Fassung des Stücks Der Sturm, in der Variante eines Figurentheaters und dem Untertitel Die Insel der zauberhaften Wesen für Kinder ab sechs Jahren. Rund 15.000 Besucher erhofft sich das über Europa hinaus bekannte Festival für seine inzwischen 26. Ausgabe, die am 25. Juni zu Ende gehen wird.
Zuvor findet vom 16. bis 19. Juni in Gelsenkirchen noch das inzwischen 3. Seniorentheatertreffen NRW mit dem Titel Wildwest statt. Gruppen aus Bochum, Bonn, Bielefeld, Düsseldorf, Köln und Gelsenkirchen zeigen Produktionen. Darunter auch Es bleibt genug Leben vom Consol Theater in Gelsenkirchen. "Wildwest" ist ein biennal stattfindendes Festival, das die gesamte Bandbreite von Seniorentheater zeigt. Ebenfalls noch im Juni, nämlich vom 16. bis zum 25. findet in Düsseldorf, Köln und Mülheim/Ruhr das Theaterfestival Impulse statt. Es gilt als das wichtigste Treffen der deutschsprachigen Freien Theaterszene. Es hinterfragt die Gesellschaft und will sich mit seinen Produktionen quasi als „politische Labore der Gegenwärtigkeit" direkt in gesellschaftliche Prozesse einmischen.
Den Festivalreigen um unterschiedliche Theaterformate in NRW beschließt auch 2016 die hochgerühmte Ruhrtriennale, die vom 12. August bis zum 24. September im Ruhrgebiet stattfindet. Das Leitmotiv des Festivals unter Leitung von Johan Simons lautet auch diesmal Seid umschlungen. Nicht zuletzt wegen der Flüchtlingskrise und dem unsäglichen Verhalten zahlreicher EU-Staaten bei der Bewältigung dieser Krise haben laut Simons die Werte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" aktuell eine gänzlich neue Bedeutung. Im 15. Jahr des Festivals stehen rund 120 Veranstaltungen bei 32 Produktionen auf dem Programm. Mehr als 900 Künstlerinnen und Künstler aus mehr als 25 Ländern wirken mit.
Die Ruhrtriennale bringt in diesem Jahr Musiktheater, Musik, Schauspiel, Tanz und Installationen ins Ruhrgebiet. Zum Auftakt am 12. August gibt es in der Bochumer Jahrhunderthalle die Musiktheaterproduktion Alceste, einen europäischen Urmythos aus der Zeit der Aufklärung als die europäischen Grundwerte formuliert wurden. Willibald Glucks Barock-Oper wird dabei von Intendant Simons neu inszeniert und stellt Fragen nach Opferbereitschaft, Mut und Demut. Gespielt wird in der 15. Ruhrtriennale-Ausgabe auch in der Synagoge in Bochum, der Lutherkirche in Dinslaken, der DITIB-Merkez-Moschee in Duisburg und dem Hindu Shankarar Sri Kamadchi Ampal-Tempel in Hamm.