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CD-Tipps von Andreas Falentin

Solo-Gesänge zum Fest

Welche CD mit klassischem Gesang schenke ich den Opernfreund*innen? Womit kann ich Gesangsfachmänner und -frauen noch überraschen? Im dritten Jahr in Folge darf ich mich an dieser Stelle mit diesen Fragen befassen und Antworten anbieten.

Dieses Jahr präsentiere ich meine Empfehlungen in Form eines klassischen Top-Ten-Ranking, räume aber sofort und gerne ein, dass die Subjektivität des Urteils hierdurch noch mehr ins Gewicht fällt. Berücksichtigt wurden ausschließlich Alben, die zwischen Anfang September und Mitte November erschienen sind, und in denen der Sologesang die wesentliche Rolle einnimmt. Etwa 30 Veröffentlichungen habe ich gesichtet und mich sowohl für eine Reihenfolge entschieden als auch dafür, die neuen CDs von Jonas Kaufmann, Anna Netrebko, Cecilia Bartoli und Philippe Jaroussky außer Konkurrenz laufen zu lassen. Die haben teilweise, besonders Jarousskys Händel-Recital, durchaus große Meriten, sind aber doch in erster Linie Produkte, die sich über das Marketing verkaufen und kaum durch künstlerische Kriterien. Nun aber zu den Top Ten:

Auf Platz 10 sehe ich da Barbara Hannigan mit ihrem ersten, richtigen Soloalbum Crazy, Girl, Crazy (alpha). Hannigan, als Bergs Lulu und generell als Darstellerin moderner Musik wohl zur Zeit konkurrenzlos, singt und dirigiert hier Berio, die „Lulu“-Suite und ein eigens arrangiertes Gershwin-medley. Stimme, Gesang und Orchesterspiel sind grandios, aber alles wirkt ein wenig glatt, sozusagen spontan keimfrei.

Auf Platz 9 steht Christian Gerhaher mit seiner zweiten Einspielung von Schuberts Die schöne Müllerin (Sony), sehr poetisch und reflektiert, begeisternd im magischen Zusammenspiel mit seinem Pianisten Gerold Huber. Dazu zeigt sich Gerhaher als hervorragender Rezitator der von Schubert nicht vertonten Gedichte aus Müllers Zyklus. Und doch wünscht man sich manchmal den nur traurigen, nur jungen Müllerburschen zurück in diesem differenzierten Kunstwerk.

Auf Platz 8 erfreut uns Sabin Devieilhe. Sie hat um ihre derzeitige Signaturrolle, Leo Delibes‘ „Lakme“, ein hochinteressantes Programm aus französischen Liedern und Arien gestrickt (bei Erato), das sie musikalisch perfekt beherrscht mit ihrem im oberen Drittel erstaunlich geläufigen, auratischen Sopran. Manchmal, etwa gleich im einleitenden Stück aus Madame Chrysantheme von André Messager könnte sie vielleicht eine Spur mehr aus sich herausgehen.

Eine Überraschung finden wir auf Platz 7: Bayreuths Hans Sachs Michael Volle erfreut uns mit Bach-Solo-Kantaten (Accentus), feinsinnig und dynamisch begleitet von der Akademie für Alte Musik. Volle hat die Lauterkeit und Schlichtheit sowie die stimmlichen Mittel, um mit diesen Stücken wirklich zu bewegen - und ist damit ein zeitgleich ein ähnliches Repertoire auf CD präsentierenden Matthias Goerne überraschend deutlich überlegen.

Besonderheiten und Nischen-Repertoire dominieren die Plätze 4 bis 6. Auf Platz 6 sehe ich, neben Berlioz‘ Troyens bei Warner, die großartig sind, aber erst Ende November erschienen, die interessanteste Operneinspielung des Herbstes, Dante von Benjamin Godard (Ediciones Singulares). Das 1890 uraufgeführte Werk baut sich aus biographischen Einzelheiten des historischen Vorbildes eine ganz und gar unhistorische Handlung und erledigt im dritten Akt gleich noch einen ‚Readers Digest‘ der „göttlichen Komödie“ mit. Aber besonders Edgaras Montvidas in der Titelrolle ist grandios und die Chor- und Massenszenen, die Finali und besonders das große Quartett im Schlussakt sind absolut hörenswert.

Auf Platz 5 kommt Holger Falk mit dem zweiten Teil seiner Einspielung mit Liedern von Hanns Eisler, gelungen wie die erste in der perfekten Mischung von Anschließen an die deutsche Kunstlied-Tradition, in Musik gesetztem politischem Engagement, feinsinniger Ironie auf vielen Ebenen und lustvollem Nippen am berühmten „Roar“ der 20erJahre.

Etwas ganz anderes auf Platz 4. Da haben sich die Sopranistin Anna-Lucia Richter und der Bariton Georg Nigl mit dem Pianisten Andreas Staier, der Geigerin Petra Müllejans und dem Cellisten Roel Dieltjens zusammengetan. Das bestrickende Ergebnis heißt Bach privat (Alpha), eine lockere, wundervoll musikantische Simulation von Hausmusik im Hause Bach, kammermusikalische Herunterbrüche großer Kantaten mit viel Innigkeit und nicht ohne Augenzwinkern.

Kommen wir zu den Medaillengewinnern, unter denen zwei klassische Arienrecitals sind. Pretty Yende erfüllt mit Dreams (Sony) alle Versprechungen, die sie mit ihrer ersten CD gemacht hat. In ihrem zweiten Belcanto-Album stehen ihr neben perfekter Technik und hörbarer Lebens- und Sangesfreude jetzt auch dunklere Stimmfarben und differenzierende Ausdruckstiefe zur Verfügung. Bestrickend! Dafür Platz 3!

Juan Diego Florez, einer der letzten wirklichen Ritter des hohen C, wechselt für ein Album vom Belcanto zu Mozart (nochmal Sony). Und bezaubert. Auch auf Deutsch! Die vorurteilslose Musikalität, mit der der peruanische Tenor an seine Aufgabe geht, lässt einen einige Stücke neu hören, befreit sie sozusagen vom Schlamm der Rezeptionsgeschichte. Gerade der Ottavio aus Don Giovanni wird durch die Interpolationen und Improvisationen zu einer ganz neuen, ganz anderen Figur. Platz 2! Anhören! Unbedingt!

Auf Platz 1 setze ich aber nach langem Überlegen doch something completly different. Jane Archibald, vor wenigen Jahren Preisträgerin beim Bertelsmann-Gesangswettbewerb „Neue Stimmen“ singt die so gut wie nie zu hörende Orchesterversion von Olivier Messiaens 1936 entstandenem kleinem Liederzyklus Poemes pour mi (Seattle Symphony) mit atemberaubender Mühelosigkeit und Textausdeutung. Dazu erkundet Ludovic Morlot mit dem Seattle Symphony Orchestra Messiaens einzigartige Klangwelt mit Neugier und Brillanz. Und die CD klingt unwahrscheinlich gut. Setzen Sie sich mal auf die musikalische Schräge. Lassen Sie diese Musik an sich ran. Es tut nicht weh und kann sehr schön sein.

Frohe Festtage wünscht

Andreas Falentin