Übrigens …

Anton Urspruchs Unvollendetes - vollendet!

Zu Lebzeiten berühmt, nach dem Tod dann schnell vergessen - ein Schicksal, das viele Komponisten durch die Jahrhunderte hindurch haben (er)tragen müssen. Auch Anton Urspruch, 1850 in Frankfurt geboren und 1907 nach einem Herzinfarkt dortselbst plötzlich gestorben, Frau und vier Töchter hinter sich lassend.

Zu Lebzeiten berühmt geworden war Anton Urspruch als Pianist. Das Klavier war sein Metier. Und deshalb knüpfte er Kontakt zu dem damals prominentesten Klavier-Star Franz Liszt, der ihn als Privatschüler jahrelang kostenlos in Weimar unterrichtete und zu dem der Meister eine enge freundschaftliche Beziehung pflegte: „Antonino“ nannte er seinen Schüler… Und Liszt animierte Anton Urspruch, seinen Ambitionen als Komponist zu folgen. Heraus kam ein - gemessen an den „nur“ 57 Lebensjahren, in denen Urspruch hat arbeiten können - durchaus beachtliches Oeuvre, das selbstverständlich Klavierwerke, dann aber auch Kammermusik, Chorwerke und vor allem etliche Lieder-Zyklen umfasst. Auch zwei Opern weist Urspruchs Werkkatalog auf: Der Sturm (nach Shakespeare) und Das Unmöglichste von Allem (nach Lope de Vega). Ein drittes Bühnenwerk zu realisieren, war dem Komponisten nicht vergönnt. Die heilige Cäcilia, in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts als groß angelegtes Opernprojekt in fünf Akten in Angriff genommen, blieb ein Torso. Obgleich Urspruch, womöglich seinen frühen Tod vorausahnend (er wusste um seine Herzschwäche!), mit dem mit ihm gut befreundeten Siegfried Ochs kurz vor seinem Tod lange über die Möglichkeit diskutiert hat, den ersten, vollständig abgeschlossenen und instrumentierten Akt der Cäcilia-Oper quasi als Oratorium zur Aufführung zu bringen. Dann Urspruchs Herzinfarkt… die weitgehend unvollendete Cäcilia verschwand in der Versenkung.

Da kann man dann eigentlich nur dankbar sein, dass es „Trüffelschweine“ gibt, die im Sediment der Musikgeschichte herumstochern und immer wieder kleine oder große Pretiosen ans Tageslicht befördern. Peter P. Pachl ist so ein „Trüffelschwein“, der so manchen Edelpilz aus dem Boden gräbt. Vor sechs Jahren war es Anton Urspruchs bereits erwähnte Komödie Das Unmöglichste von Allem (dokumentiert auf CD bei Naxos), die Pachl auf die Bühnenbretter gebracht hat. Und danach entdeckte er das Potenzial, das in den Fragmenten der Cäcilia stecken könnte. Aus dem von Urspruch hinterlassenen Material wurde nun eine aufführungsreife Partitur - Ulrich Leykam sei Dank! Der Düsseldorfer Kirchenmusiker investierte zwei Jahre Zeit, das Vorhandene der Cäcilia zu sichten, zu bewerten, mit anderen Urspruch-Partituren zu vergleichen. Und die restlichen Akte im Sinne des Komponisten zu vervollständigen. Seit kurzem liegt Leykams „rekonstruierte“ Fassung der Cäcilia vor, Ende November wurde sie in Ausschnitten der Öffentlichkeit präsentiert. Es war das Oratorien-Ensemble der Musikhochschule Münster, das sich der Aufgabe widmete, Urspruchs nun vollendete Oper zum Klingen zu bringen. Denn: Urspruchs Cäcilia ist „die größte Chor-Oper des 20. Jahrhunderts“, wie Opernspezialist und Opernregisseur Peter P. Pachl feststellt. „Groß“ konnte diese Cäcilia-Präsentation allerdings nicht unbedingt ausfallen, denn dazu reichten weder die Ressourcen des hochschuleigenen Ensembles noch der Konzertsaal der Musikhochschule! Aber immerhin: die überaus engagierten und mit Leidenschaft agierenden Sängerinnen und Sänger vermittelten punkthaft einen Eindruck von der Monumentalität der Oper rund um die Legende der heiligen Cäcilia, der Patronin der Kirchenmusik, die um das Jahr 200 n. Chr. herum in Rom den Märtyrertod erlitten hat. Der Chor, einstudiert von Katrin Arnold, Eva Chahrouri und Marion Wood, bot großartige vokale Qualität!

Die Geschichte rund um Cäcilia lässt sich nachlesen. Urspruch, der in diesem Fall sein eigener Librettist war, machte daraus ein bewegtes und bewegendes Drama von über vier Stunden, besetzt mit sechs Gesangssolisten, Comprimarii und etlichen Chorsängerinnen und -sängern. Und einem großen Orchester wagnerschen Ausmaßes. Dieses Orchester kam am Abend der Präsentation aus Ulrich Leykams Computer: dank gesampelter Klänge und einer raffinierten Software, die es erlaubte, auch kleinste Details dynamischer und agogischer Natur umzusetzen. Gesungen wurde selbstverständlich „live“: von dem schon genannten Oratorien-Ensemble der münsterschen Musikhochschule und von Rebecca Broberg und Hans-Georg Priese in den Hauptrollen. Peter P. Pachl sorgte für eine gelungene szenische Umsetzung, für die Robert Pflanz sehr stimmungsvolle Video-Projektionen als Hintergrund lieferte, vor dem sich Szenen aus Cäcilias Leben abspielten.

Motor dieser Darbietung waren neben Pachl, Leykam und die Musikhochschule nicht zuletzt die in Münster ansässige Anton-Urspruch-Gesellschaft mit ihrer Präsidentin Veronica Kircher, der Enkelin des Komponisten. Der kleine Verein mobilisierte viel Energie, finanziell unterstützt von der Werte-Stiftung Münsterland, einer Einrichtung der Vereinigten Volksbank Münster eG.

Es geht weiter mit Urspruchs Cäcilia - die Partitur wird diesmal nicht wieder in Schubladen versinken: Peter P. Pachl hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, die komplette Oper Eins zu Eins zu realisieren. Und dies am Originalschauplatz, in Rom! Erste Gespräche mit den Verantwortlichen vor Ort sind bereits erfolgreich geführt worden, eine Vorschau auf die Cäcilia, ähnlich wie jetzt in Münster, soll es im Frühjahr 2019 in der „Accademia Nazionale di Santa Cecilia“ geben, die Uraufführung ist für 2020 im Vatikan geplant. Das hätte sich Anton Urspruch ganz gewiss nicht träumen lassen! - Christoph Schulte im Walde

(Foto: Christoph Busch)