Erinnerung an Lolo Ferrari

Ein "Busenwunder" und ihre Aussagekraft für die Rolle der Frau heute

theater:pur sprach mit den Macherinnen, die das Stück LOLO unserer Autorin Eva Britsch in Österreich uraufführen werden:

Lolo kannte ich gar nicht!“

 

Die Österreicherinnen setzen sich für Frauenrechte über die Grenzen des Landes hinaus ein: Die „Weltgruppe Lieboch“ wird im Juni das Theaterstück der Theater:pur-Autorin Eva Britsch, LOLO, innerhalb einer Charity-Veranstaltung in Lieboch (liegt in der Nähe von Graz) in einer bearbeiteten Version aufführen. In LOLO steht das im Jahr 2000 verstorbene „Busenwunder“ Lolo Ferrari im Fokus. theater:pur sprach mit den Macherinnen über ihre Arbeit und den Text.

 theater:pur: Was verbirgt sich hinter der „Weltgruppe Lieboch“?

 Inge Schrettle: Wir sind eine pfarrliche Gruppe, aber nicht alle in der Kirche aktiv. Die Gruppe entstand schon vor 30 Jahren, einerseits aus dem Wunsch, den fairen Handel zu unterstützen, andererseits aus persönlichen Kontakten, damals zu Gruppen in Brasilien. Wir haben seit vielen Jahren also den fairen Handel gefördert, versucht, Info-Arbeit in Pfarrei und Gemeinde zu machen, aber auch Projektunterstützung, zuerst in Brasilien, dann in Kenia. Dazu bekommen wir immer wieder auch finanzielle Unterstützung vom Land Steiermark; es handelt sich immer um Kleinprojekte.

 Maria Breitegger: Die Weltgruppe Lieboch ist eine Gruppe von sechs Frauen, mit folgenden Zielen: Wir versuchen durch regelmäßige Veranstaltungen und Beiträge in den Zeitungen des Pfarrverbandes und der Gemeinde den Gegensatz Reich-Arm, Nord-Süd im Bewusstsein zu halten und setzen uns für Verbesserungen ein. Weiter ist uns die Begegnung mit unseren Projektpartner*innen wichtig. Und wir unterstützen den fairen Handel, indem wir monatlich einen Laden mit fair gehandelten Produkten abhalten.

 theater.pur: Bei einer Charity-Veranstaltung der „Weltgruppe Lieboch“ im Juni werden Sie für kenianische Frauen und Mädchen Geld sammeln, um eine NGO zu unterstützen. Worum geht es bei der Arbeit der NGO?

Inge Schrettle: Das Youth Education Network (YEN) befasst sich sowohl mit Bildungsarbeit im Umweltbereich (z.B Bäume pflanzen mit Jugendlichen, Anlage von Komposthaufen lehren etc.), aber auch aktuellen Themen wie derzeit das Thema der sprunghaft angestiegenen Zahl der Frühschwangerschaften in Westkenia. Es geht jetzt um Beratung der Teenager-Mütter beim Stillen, Ernährung der Babys etc., aber auch Themen wie Familienplanung werden abgedeckt.

 Sabine Defregger: YEN wurde 1997 von fünf kenianischen Frauen gegründet. Zwei davon sind immer noch aktiv für YEN – schon seit vielen Jahren in Pension, waren sie davor als Lehrerinnen berufstätig, hatten Familie und waren immer sozial engagiert. Ihre Motivation YEN zu gründen, war die Stärkung der Mädchen. Sie selbst mussten für ihre grundlegenden Rechte sehr kämpfen (den traditionellen Gesetzen entgegen) und hatten und haben den Wunsch, die Mädchen zumindest dafür stark zu machen. Kurz zusammengefasst besteht die Arbeit von YEN im Engagement gegen Armut, für Frauen- und Kinderrechte und für die Umwelt.

 theater.pur: Sie werden eine bearbeitete Fassung des Theaterstücks LOLO aufführen. Der Text befasst sich mit weiblichen Rollenklischees. Warum haben Sie sich für diesen Text entschieden? Wie sind sie auf ihn aufmerksam geworden?

 Sabine Defregger: Wir waren auf der Suche nach einem Theaterstück, das sich einerseits mit dem Thema Mädchen/Frau und Gesellschaft kritisch auseinandersetzt und andererseits auch mit wenigen DarstellerInnen auskommt. Unsere Anlaufstelle ist die theaterboerse.de, da haben wir schon einige Stücke gefunden. Wir sind sehr rasch auf den Text von LOLO gestoßen. Ich fand ihn sofort spannend und von der Thematik passend. Da der Anlass der Aufführung die Arbeit von YEN ist und somit im Hintergrund der starke Anstieg der Teenagerschwangerschaften sowie der Gewalt an Frauen während der Pandemie in Westkenia steht, passt die Thematik von LOLO in meinen Augen sehr gut. Wir wollten nicht das patriarchale System in Afrika beleuchten sondern viel mehr verschiedene Aspekte in unserer westlichen Welt.

 theater:pur: Das Besondere aus Ihrer Sicht an dem Text?

 Sabine Defregger: Eva Britsch hat in Lolo so viel reingepackt, die ungewollte Schwangerschaft, Gewalt, Sexismus , aber auch den Selbstwert, der sich über das „richtige“ Aussehen definiert und die vielen Narrative in unserer Gesellschaft, die das unterstützen und verstärken und benutzen. Mir gefällt die Idee des Dialoges von einem Schauspieler und einer Schauspielerin: Wie zwei Menschen, die ein Buch über jemanden lesen, sich in die Figuren hineinversetzen und sich dann je aus ihrer „männlichen“ und „weiblichen“ Sichtweise darüber austauschen. Auf diese Weise und mit ihrer direkten Sprache werden viele Themen relativ kurz und prägnant auf den Punkt gebracht.

 theater:pur: Das sogenannte Busenwunder Lolo Ferrari, sie starb im Jahr 2000, steht im Mittelpunkt des Textes. Konnte die „Weltgruppe Lieboch“ sich noch an Lolo erinnern?

 Inge Schrettle: Obwohl ich schon 72 bin, klingelte bei mir da nichts.

 Maria Breitegger: Ich kann mich nur dunkel an Lolo Ferrari erinnern.

 Sabine Defregger: Ich habe von Lolo Ferrari definitiv nichts mitbekommen. Die Eltern einer Darstellerin konnten sich allerdings sofort erinnern.

 theater.pur: Wie sehen Sie persönlich die „Rolle“ der Frau in der heutigen europäischen Gesellschaft?

Inge Schrettle: Meiner Meinung nach haben wir, was die Frauenrolle betrifft, viel erreicht, aber wohl noch nicht genug. Alle meine drei Söhne kümmern sich selbstverständlich um ihre Kinder, in jeder Hinsicht, und machen sämtliche Hausarbeiten; alle können z.B. gut Kuchen backen. Das heißt nicht, dass schon alles erreicht wurde; es gibt noch Luft nach oben. In Österreich besonders, was gleichen Lohn für gleiche Arbeit betrifft.

 Maria Breitegger: Ich kann für mich die Rolle der Frau in der heutigen europäischen Gesellschaft nicht beantworten, da ich keinen wirklichen Einblick in unterschiedliche Länder habe. Selbst für Österreich zu sprechen, fällt mir schwer. Ich möchte daher die in der Schweiz lebende Soziologin Franziska Schutzbach zitieren, die in ihrem Buch Die Erschöpfung der Frauen – wider die weibliche Verfügbarkeit schreibt, dass Weiblichkeit in unserer Gesellschaft mit Fürsorglichkeit gleichgesetzt wird. Frauen sind meist zuständig für emotionale Zuwendung, Beziehungsarbeit, das Kümmern um Familienangehörige, die Pflege. Frauen tragen 80 Prozent der Familienarbeit und sollen gleichzeitig perfekt im Beruf, als Mutter, als Partnerin sein. Als Lehrerin an einer Mittelschule (10 bis 14jährige) fällt mir auf, dass Mädchen selten technische Berufe wählen oder weiterführende Schulen mit IT oder Technikschwerpunkten besuchen, obwohl ihre Schulleistungen hervorragend sind. Sie entscheiden sich trotz Ermutigung für traditionell weibliche Berufe.

 Ilse Plaschzug: Die Rolle der Frau wird wieder etwas rückwärts in das „alte“ Rollenbild gedrängt. Durch die Pandemie hat sich die Aufteilung , dass sich die Frau zu Hause um die Kinder kümmert und der Mann arbeiten geht, wieder mehr als Normalbild gefestigt. Die Frauen kümmern sich vermehrt um die Pflege von Angehörigen und durch die Vergrößerung der Einkommensschere wird es immer wichtiger, dass der Mann vermehrt für das Familieneinkommen zu sorgen hat. Die Errungenschaften der Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft rücken bei finanziellen Engpässen vermehrt in den Hintergrund.

 Sabine Defregger: Es hat sich sehr vieles zum Positiven verändert, wenn wir den Vergleich mit klassischen patriarchalen Gesellschaften anstellen. Allerdings ist noch eine Menge Arbeit zu leisten, wenn wir (Frauen) wirklich in einer Gesellschaft leben wollen, die Frauen und Männer als gleichwertig und vor allem in den gesellschaftspolitischen Entscheidungen gleich gewichtig ansieht. Die eine Rolle gibt es wohl nicht. Ich denke, die „Rolle der Frau“ hängt sehr von der jeweiligen sozialen Gruppierung ab, in der Frau lebt. Die meisten sozialen und pflegeintensiven Berufe werden, weitgehend schlecht bezahlt, von Frauen ausgeführt. In den Grundschulen und Kitas arbeiten vorwiegend Frauen. In sämtlichen Supermärkten sieht man/frau/kind vorwiegend Frauen. Nach wie vor ist die Kinderbetreuung ein großes Problem und wird immer noch zum größten Teil von Frauen abgedeckt, aber nicht entsprechend entgolten. Frauen, die viel Zeit in ihre Ausbildung und Karriere stecken und dann ihre Kinder bekommen, sind oft mit dem Problem konfrontiert, noch schwanger werden zu können.

 theater:pur: Oft läuft es wohl wirklich auf „Kind oder Karriere“ hinaus.

Sabine Defregger: Besonders schlimm finde ich die Tatsache, dass Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen zunehmend über social media mit Sexismus konfrontiert sind, was Männern offensichtlich nicht passiert. Besorgniserregend finde ich auch, dass mit der aktuellen Zunahme von rechtem Gedankengut in Europa vermehrt wieder klassische Rollenbilder als Idealbild in unsere Gesellschaft sickern. Für welches Frauenrollenbild stand eine rechte Präsidentschaftskandidatin, die sich von einem extrem patriarchalen System sponsern lässt???

theater:pur: Theater kann neue Blicke eröffnen? Wirklich etwas verändern?

Inge Schrettle: Wirklich verändern – das weiß ich nicht. Neue Blicke eröffnen schon. Z.B. erinnere ich mich heute noch an das Stück „Gottes vergessene Kinder“, das ich vor ca. 30 Jahren in Graz auf der Bühne gesehen habe und durch das ich sicher was Neues gelernt habe.

 Maria Breitegger: Ich bin überzeugt davon, dass Theater neue Blicke ermöglicht, und zwar sowohl für die SchauspielerInnen, die sich mit der Thematik intensiv auseinandersetzen als auch für das Publikum. Wirklich verändern kann Theater im Zusammenhang mit zusätzlichen Impulsen und auf lange Sicht.

Ilse Plaschzug: Theater kann einen anderen Blickwinkel auf verschiedene Themen geben und die Zuschauer*innen zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Die eigene Sichtweise kann dadurch auch etwas toleranter werden.

 Sabine Defregger: Neue Blicke kann Theater sicher eröffnen, jedenfalls nach einiger Zeit. Das Problem ist nur, dass das Blickwinkelöffnen auch die Bereitschaft dazu braucht. Gutes Theater kann sicherlich Horizonte erweitern und berühren. Dadurch können Impulse zur Auseinandersetzung mit der jeweiligen Thematik entstehen. Und im besten Fall werden diese Impulse durch Wiederholung über einen längeren Zeitraum zu Veränderungen beitragen.