Übrigens …

Gut ausgewählt

Zwischenbilanz der Ruhrtriennale 2025 (vom 21.8. bis 21.9.2025) nach der Hälfte des Festivals

Bei der ersten Ruhrtriennale (2002-2004) prägt der belgische Gründungsintendant Gerard Mortier zwei schillernde Begriffe: Kreationen und Kathedralen der Industriekultur. Will sagen: Bei diesem Festival in den altehrwürdigen Hallen von Kohle und Stahl kümmern wir uns nicht um Sparten und Schubladen, es dürfen sich Schauspiel, Tanz, Gesang, Musik, Video, bildende Kunst zu Gesamtkunstwerken vereinen. Seine Idee übernehmen mehr oder weniger auch seine Nachfolgerinnen und Nachfolger, auch der jetzige Intendant Ivo van Hove, ebenfalls ein Belgier. Nun hat sich die cross-over Idee, die Vermischung der Genres, mittlerweile auch in den Stadttheatern etabliert, es bleibt die andere Besonderheit, die immer wieder verblüffenden Industriehallen. Eine Kulisse, die niemand bauen kann.

 

Die viel beachtete Eröffnung „I Did It My Way“

Die Feuilletons überschlagen sich mit Kritik und Spott an Lars Eidingers Gesang (theater:pur-Besprechung siehe hier). Das ist ungerecht. Er singt nicht wie Frank Sinatra, klar, er will ihn aber auch nicht kopieren. Als Schauspieler zeigt er durchaus Präsenz und er kann mit den beiden Tänzern erstaunlich gut mithalten. Stimmlich ist ihm seine Partnerin Larissa Sirah Herden deutlich überlegen. Alles in allem bleibt zu sagen, dass das Konzept von Ivo van Hove ganz gut funktioniert, diese Liebesgeschichte aus den sechziger, siebziger Jahren nur durch Songs zu erzählen. I Did It My Way ist sicher nicht die stärkste Inszenierung des belgischen Regisseurs und Festivalleiters. Dafür überzeugt die Auswahl der eingeladenen internationalen Ensembles.

 

Konzerte von Weltklasse, etwa die Rave-L Party

Maurice Ravel ist der Namensgeber von Rave-L-Party am zweiten Abend dieser Ruhrtriennale. Hier wird auf geradezu umwerfende Art Klassik und Moderne, Konzert und Clubkultur zusammengeführt. So hat man den Boléro noch nie erleben können. Das französische Orchester Les Apaches unter seinem Dirigenten Julien Masmondet vereint sich mit einer DJ (Tayana Jane) sowie Videokünstlerinnen. Hinter dem Orchester prangt eine riesige Leinwand, auf die eine Real Time Visual Artist (Alexandra R) Live-Bilder hintereinander projiziert. Dabei fährt sie vom Dirigenten über die Musizierenden, Flöte, Geige, Harfe auf den Spielort, die Fenster, Maschinen der wunderbaren Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck. Maurice Ravel hat sich für seinen Boléro von Industrieklängen inspirieren lassen, wollte ihn in einer Werkshalle aufführen und hier erlebt seine Komposition einen großartigen Abend.

 

Ein Erlebnis ist auch der Auftritt der türkischen Sängerin Gaye Su Akyol. In der Gießhalle im Landschaftspark Nord in Duisburg bietet die zierliche Person eine stimmliche Wucht. Mit einer Mischung aus Anadolu-Rock und Popmusik ist sie in ihrem Heimatland ein Star. Ein Teil des Publikums, das mit türkischem Hintergrund, singt und jubelt mit dem feministisch und pazifistisch engagierten Talent vom Bosporus. Die anderen sind beeindruckt. Jubel.

 

Eine Sensation der ganz anderen Art, ohne Schlagzeug, DJ und elektronische Verstärkung, bietet der Sänger Samuel Marino in High on Händel. Der 32jährige ist ein Sopranist, das heißt, er kann so hoch singen wie ein Sopran, höher als ein Countertenor. Diese seltene Stimmlage erwirbt er sich wohl, weil er nie in den Stimmbruch gekommen ist. Begleitet vom polnischen Klassik-Ensemble Capella Cracoviensis singt er mit großem Können, hoher Inbrunst und Einfühlung die Arien von Georg Friedrich Händel, etwa die langobardische Königin Rodalinda oder die ägyptische Königin Cleopatra. Mit seinen Stöckelschuhen und glamourösem Outfit ist sein Auftritt auch eine Augenweide, die das Publikum verzaubert und zu stehenden Ovationen hinreißt. Ohrstöpsel sind hier nicht gefragt.

 

Ohrstöpsel braucht man allerdings bei Osmium, der besonderen Mischung von neuer Musik und Rave und Rock. Die bietet die Gruppe um die isländische Komponistin und Cellistin Hildur Gudnadóttirdes. Osmium ist der Name für ein seltenes, hartes Edelmetall und so spielt das Ensemble. Hart und ungewohnt. Im ersten, reinknallenden, etwas eintönig klingenden und zu langgezogenen Musikstück haut einen die Lautstärke fast um. Es beeindruckt vor allem die Nebelmaschine, die die Musikerin und ihr Ensemble immer wieder wolkenverhangen und unsichtbar macht. Isländisch eben. Im zweiten Teil des Abends steht dann die Künstlerin und ihr Cello im Fokus und man ahnt, dass Hildur Gudnadóttirdes Filmmusik schreiben kann. Immerhin hat sie dafür schon einmal einen Oskar bekommen. Unter dem Strich: Eine ungewöhnliche Begegnung. 

 

Ohrstöpsel und Standing Ovations.

Standing Ovations gibt es nicht zur Eröffnung, aber ansonsten sind sie bei den Vorstellungen üblich. Ohrstöpsel werden zu den meisten Veranstaltungen angeboten. Die diesjährige Ruhrtriennale ist oft laut, sogar hin und wieder im Tanztheater.

 

 

Zwei Seiten des Tanztheaters aus Argentinien und Südafrika

how in salts desert is it possible to blossom zu Deutsch: „wie es möglich ist, in einer Salzwüste zu blühen“ bringt das südafrikanische Garage Dance Ensemble nach PACT Zollverein. Mit Videotricks, Live-Kamera, hohem Körpereinsatz, ausgeklügelten Schlangenbewegungen und rauschhafter Choreographie entsteht ein faszinierendes Spiel über das harte Leben in der Wüste, den weiter wirkenden Kolonialismus, phantasievoll dargestellt anhand der im südlichen Afrika beheimateten weitgewandeten, mächtigen Kleider. Die hatten einst die herrschende weiße Oberschicht ihren schwarzen Bediensteten geschenkt, jetzt werden sie zum Symbol für Befreiung. Die Sängerin Anelisa Stuurman überzeugt mit stimmlicher Wucht. Ein Genuss.

 

In Begleitung von leisen, alten Instrumenten der südamerikanischen indigenen Bevölkerung bietet PACT Zollverein den Tanzabend mit dem rätselhaften Titel Último Helecho, zu Deutsch etwa: das letzte Farnkraut. Eine Tänzerin und ein Tänzer kriechen aus ihren bunten Kokons und tanzen sich frei, stellvertretend für die Ureinwohner Argentiniens. Es beginnt in Höhlen und endet mit Anklängen an den Tango. Auch ein Ereignis.

 

Die Ruhrtriennale ist jung und lebendig

Das gilt auch für die in „theaterpur“ bereits besprochenen Aufführungen im großen Rahmen: We Are The Lucky Ones (siehe hier) wagt eine Oper ohne feste Story, nur mit Zitaten von vermeintlich Glück habenden Menschen, die zwischen 1940 und 1949 geboren wurden. Gelungen. Genauso auch Oracle (siehe hier). Das Stück bringt die Geschichte des Mathematikers Alan Turing in die Duisburger Kraftzentrale. Die aufwändige, phantasievolle, technisch hochgerüstete Inszenierung gibt einen Einblick in zukünftige Theaterformen. Ein englischer Wissenschaftler knackt den Enigma-Code, die Verschlüsselungsmethode der Nazis. Dabei setzt Alan Turing darauf, dass man eine Maschine nur mit Hilfe einer anderen Maschine aufdröseln kann. Die KI ist im Anmarsch. So nähert sich besonders dieser Abend dem Motto des Festivals „Longing for Tomorrow“. Die Sehnsucht nach morgen ist damit verbunden, dass Wissenschaftler und Politiker die technischen Erfindungen nicht gegen Menschheit richten, sondern für gute und nützliche Zwecke einsetzen.

Fazit: Ivo van Hove und sein Team haben ein vielseitiges, buntes, nachdenkliches, unterhaltsames Programm zusammengestellt. Um es mit dem Gründungsintendant Gerard Mortier auszudrücken, der den Satz „Viel Spaß“ vermeidet - er bevorzugt „Viel Freude“.

Martin Burkert

 

Foto links: " I Dit It My Way" (Foto: Jan Versweyveld)

https://www.ruhrtriennale.de/de