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Deutschlands einziges „Shakespeare-Festival“ in Neuss hinterließ Spuren

Von Günther Hennecke

Neuss - Theater ist eine schöne Sache. Wenn eine Aufführung glückt, ist Theater sogar etwas Wunderbares. Wenn auch noch das Ambiente „stimmt“, die Atmosphäre „passt“, kann ein Theater-Abend sogar „beglücken“. Neuss ist so ein Ort, präziser: der Standort des zwölfeckigen Nachbaus des Londoner „Globe“, in dem Shakespeare einst seine größten Erfolge erlebte, ehe es 1613 bei einem Brand sein Leben aushauchte. Wenn auch nicht für immer. Der Mythos „Globe“ blieb lebendig.

 Lebendig seit 26 Jahren

 Das Neusser „Globe“ steht seit 26 Jahren auf der Galopprennbahn der Römer-Stadt am Rhein und lädt seitdem alljährlich zu mehr als puren Theateraufführungen ein. Es verführt auch zum Verweilen. Shakespeare- Büsten beleben den Platz vor dem Theater, Ortsschilder weisen hier ins traumhafte Illyrien, ein Kahn erinnert an den „Sturm“. Und wer das dem Zwölfeck gegenüber liegende „Foyer“, ansonsten die nüchterne Wetthalle von Pferdenarren, betritt, und dort, inmitten von Königsthronen, roten Couchen und Plüschsesseln, in königliches Licht von Kerzen- und Kronleuchtern getaucht, an von Rosen übersäten Tischen sein Glas erhebt, plaudert und staunt, weiß, wovon die Rede ist: Vom alljährlichen „Shakespeare-Festival“, in diesem Jahr wieder für 16.000 Besucher aus dem In- und Ausland Lieblings-Theaterort „zwischen“ zwei Stadttheater-Spielzeiten. In diesem Jahr sind 14 Kompagnien dabei (gewesen). Und wenn es am Ende, auf der Bühne wie beim Publikum, All’s Well That Ends Well heißt, ist dieses Urteil sicher auch vom einmaligen Ambiente des Ortes beflügelt. Was nicht ausschließt, sich den Produktionen, davon so wenig wie möglich beeinflusst, kritisch zu nähern. Sei`s drum.

 Shakespeare im Variete

 „Panta rhei“, „alles fließt“, meinte bereits ein griechischer Philosoph. So blieb auch im „Globe“ das Festival nicht stehen, sondern wagte sich zu neuen Ufern. Das neueste Ufer hieß Shakespeare goes Variete. Shakespeare, so erfuhr man schnell, überlebte auch das, und zwar bestens. Es war ein Festival-Start mit viel Musik und Humor, dessen Star ein „Spieler“ war, ein Spieler mit dem Publikum. Sir Williams Figuren tauchten auf, Thisbe aus dem „Sommernachtstraum“ sorgte für Heiterkeit, der Mann aus Stratford-upon- Avon war stets anwesend.

 Puppenspiel im Sturm

 Um beim Griechen Heraklit und dem „Fließen“, also den Neuerungen zu bleiben: Diesmal geriet Shakespeare zum ersten Mal auch zu einem Faszinosum für die Jüngsten. Mehr als 1000 Kinder über acht sahen und begeisterten sich in zehn Vorstellungen an einem Sturm, in dem Puppen die Regie übernommen hatten. Das „Seifenblasen Figuren“-Theater und seine zwei menschlichen Protagonisten verführten auf und mit der „Insel der zauberhaften Wesen“. Ein stürmischer Erfolg.

 Nach dem Spaß der Ernst

 Ernst, ja katastrophal ernst wurde es mit einem Julius Caesar aus London, der zum Herzzerreißen daneben lag. Da half auch nicht der Ruf Polina Kalininas, einer angeblich aufstrebenden jungen Regisseurin. Sie führte das „Mountview-Ensemble“ in die Irre der Unbedeutendheit, in der sich eine Frau als matt-fader Brutus verlief und die Totenrede Marc Antons auf den ermordeten Caesar - immerhin ein Juwel in der europäische Theatergeschichte – im Orkus des Vergessens ihren Platz finden sollte.

 Sieben Veroneser aus Berlin

 Abgefedert war dieser Fehlgriff von zwei Glanzlichtern während der meist feucht-kühlen Tage auf der Rennbahn. Blendend spielten Zwei Herren aus Verona auf. Dabei kamen die aus Berlin, wo Claus Peymann einiges für den Erfolg in die Wege geleitet hatte. Veit Schumann, Mitglied seines Ensembles, setzte er als Regisseur auf die Spur der „Zwei Herren“, und ein vor Frische, Frechheit und Übermut lügendes, betrügendes und wieder bereuendes Septett agierte, dass einem schwindlig werden konnte.

 Shylock parliert französisch

 Übertrumpft wurden sie noch von einem grandiosen „Marchand de Venise“ der Truppe „Compagnie 13“, den deren Chef, Pascal Faber, frei von jeder verquälten Political Correctness, als ganzen Menschen zeigt, mit allen Schwächen und Stärken. Messerwetzend, die Ärmel hochkrempelnd und zu allem entschlossen, steht Shylock im Gerichtssaal kurz davor, seinem Schuldner Antonio tatsächlich ein Pfund Fleisch aus der Brust zu schneiden - ehe ihn die intriganten Christen ins Leere laufen lassen. Zweifellos der Höhepunkt in Neuss.

 Hamlet in der Psycho-Hölle

 Sehr überzeugend geriet auch die Hamlet-Paraphrase Hamlet-Who’s There?, in der das in London beheimatete „Flute Theatre“ einen Prinzen erleben lässt, der in einer Albtraum-Welt gefangen ist, in der sich Realität und Fiktion untrennbar verheddern. Kelly Hunters Bearbeitung und Regie schicken ihn in seine eigenen seelischen Abgründe. Am Ende seiner Höllenfahrt ins eigene Ich lebt nur noch – der Totengräber. Ein Wink der Regie mit dem Zaunpfahl? Europa im Blick?

 Quartett im Wintermärchen

 Dann wurde es winterlich in Neuss. Shakespeares Wintermärchen“ließ eine zum Quartett eingeschmolzene und extrem wandlungsfähige Darsteller-Truppe nicht nur in zwölf Rollen Glanztaten vollbringen. Christian Leonhards Inszenierung setzte dabei auf Poesie und Traumszenen, Musik und Lieder. Berlins „Shakespeare Company“ war dazu in blendender Verfassung. Wäre da nicht, völlig unverständlich, ja die Inszenierung unsinnig auseinander reißend, die zum Spielball eines deppernden Schäfers und seines noch begriffsstutzigeren Sohnes verblödelte böhmische Schäfer-Idylle: Es hätte ein weiterer Höhepunkt der Neusser Tage gewesen sein können.

 Schillers „Stuart“ zu Gast bei Shakespeare

Weil sich selbst Friedrich Schiller mal in die britische Geschichte hat ziehen lassen, kam seine Maria Stuart, auch passend zum Leitmotiv „Shakespeare and beyond“, in einer Aufführung der „bremer shakespeare company“ zu Wort und Tat. In einer Inszenierung, die von der Auseinandersetzung der beiden Frauen, Elisabeth I. und Maria Stuart, lebt und Funken schlägt. Nur zwei Männer schlüpfen in die wichtigsten Rollen des Stücks. Ein Abend glänzender Sprache, an dem der Kampf um die Macht und ihren Erhalt an immerwährende, bis heute andauernde Auseinandersetzungen gemahnt.

 Römisches Erbe in Neuss – Voller Liebe zum Theater

 Eingeklemmt zwischen Düsseldorf und Köln, eingespannt also zwischen zwei sich kulturell immer wieder übertrumpfende Metropolen, beweist das „kleine“ Neuss, uralte Gründung der Römer am Rhein, was künstlerische Eigenständigkeit vermag. Es ist wahrlich nicht immer alles Gold, was glänzt im Globe. Aber allein dafür, dass diese Stadt Deutschlands einziges „Shakespeare-Festival! leben lässt, hat mehr als Respekt verdient. Zumal sich das Publikum Jahr für Jahr – die Autokennzeichen verraten, dass der Ruf weit über Neuss hinaus reicht – gerne auf neue Shakespeare-Interpretationen einlässt, die die wechselnden Truppen aus aller Welt zu bieten haben. Was will Theater mehr? Neugier lässt seit 26 Jahren alljährlich 16.000 Besucher zum Neusser „Globe“ pilgern. Chapeau!